Organisationskultur und professionelle Haltung in der Praxis

Autor: Gunnar Rohde

Jede Organisation ist ein lebendiges System, in dem Individuen in einer regelhaften, strukturierten und Regeln und Wertmaßstäben folgenden Weise zielgerichtet interagieren und kommunizieren. Die Vorgabe und Umsetzung von Regeln und Wertmaßstäben wird durch einen von Erfahrung getragenen Konsens der Organisationsmitglieder gespeist. Diese Verfahrensweisen sind angemessen, richtig und zielführend im Sinne des Organisationszweckes. Die gemeinsam geteilten Grundannahmen, Werthaltungen und Orientierungsmuster kreieren die Organisationskultur mit ihrer spezifischen kulturellen Umgebung.

Diese kulturelle Umgebung wirkt implizit und entfaltet so eine dauerhafte und intrapersonal verankerte Wirkung auf alle Mitglieder der Organisation.

Die professionelle Haltung ist gewissermaßen die Erscheinungsform der Organisationskultur. Am Handeln der Organisationsmitglieder werden mehr oder weniger offensichtlich zugrundeliegende Handlungsleitlinien, Handlungsmotive und Entscheidungsgrundlagen deutlich. Natürlich bringt jedes Individuum eine in der eigenen persönlichen und beruflichen Sozialisation erworbene Haltung in die Organisation ein. Diese verhält sich reziprok zur gemeinsamen Organisationshaltung, d. h., sie wird durch diese modifiziert und gibt auch ihrerseits Impulse an die Haltung der Organisation.

Es gilt nun, diese allgemeinen und wenig konkreten Ausführungen zu schärfen – an welchen Aspekten der fachlichen Arbeit wird der Ausdruck einer professionellen Haltung deutlich?

Die Wirkungsforschung hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Frage beschäftigt, welche Gelingensfaktoren zu erfolgreichen Hilfeverläufen in den HzE beitragen. Vereinfacht ausgedrückt geht es dabei um die Frage, was wirkt.

Die dabei identifizierten Wirkfaktoren beziehen sich neben institutionellen Rahmenbedingungen auch auf die professionelle Interaktionskompetenz sowie auf professionelle Motive und fachliche Einstellungen. V. a. in der letztgenannten Kategorie finden sich konkrete Verweise auf professionelle Haltung. Grundsätzlich wirkt Haltung aber in alle Bereiche der Organisation hinein bzw. kommt darin zum Ausdruck.

Es gibt eine Reihe von implizit wirkenden Faktoren im Arbeitsfeld des ASD, die empirisch nachgewiesen sind. Sie sind Bestandteile der Organisationskultur, weil ein Konsens darüber herrscht, dass ihre positive Ausgestaltung maßgeblich der Erhöhung der Teilhabechancen junger Menschen dient, was im Rahmen der erzieherischen Hilfen dem übergeordneten Ziel entspricht.[1]

Zur Verdeutlichung werden an dieser Stelle zwei Faktoren genannt.

Mitbestimmung der Fachkräfte in ihren Organisationen

Das Ausmaß der Mitbestimmung der Fachkräfte in Ihren Organisationen bestimmt maßgeblich deren Bereitschaft, partizipative Arbeitsbeziehungen mit dem Klientel zu etablieren.[2]

Fachlich-reflexive Ziel- und Handlungskonzeption

Eine fachlich-reflexive Ziel- und Handlungskonzeption manifestiert sich zunächst in einem ganzheitlichen Blick auf die individuellen Biografien der Klientel und deren Aneignung, Deutung und Interpretation sozialer Wirklichkeit.[3] Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass pädagogische Interventionen ohne eine Anknüpfung an biografische Sinnstrukturen nicht in der Lage sind, Empowerment-Prozesse der Klientel zu initiieren und damit Hilfeprozesse erfolgreich zu gestalten. Grundlage für ein solches Handeln ist eine reflexive Professionalität Sozialer Arbeit, die das eigene Handeln und dessen durch Individualität, Wissenschaft und Praxis geformte, fachliche Säulen wiederkehrend auf seine Angemessenheit und Aktualität hin überprüft. Dieser fachliche Ansatz muss strukturell in den Verfahrensvereinbarungen verankert sein, um eine Verbindlichkeit in der Umsetzung sicherzustellen.

In der konkreten Anwendung auf das Arbeitsfeld des ASD ist die Fachkraft auf der formalen Ebene idealerweise in der Lage, einen Fall mithilfe ihres in Ausbildung und Berufspraxis erworbenen Theorie- und Methodenwissens fachlich differenziert zu durchdringen und daraus in einem partizipativen Aushandlungsprozess mit dem Klientel konkrete Handlungsschritte abzuleiten.

Die non-formale Ebene der personalen Kompetenzen fungiert dabei als zentrale Steuereinheit. Hier wird entschieden, ob und wie die für ein umfassendes Fallverstehen benötigte multimethodische und reflexive Tiefe im spezifischen Fall angewendet und wie Partizipation inhaltlich gefüllt wird.

Personenabhängige Deutungen, die zur Art der Ausgestaltung fachlicher Konzepte und Verfahren sowie Adaptierungen von institutionellen Rahmenbedingungen prägen die fachliche Haltung. Alles zusammen wird auf der subjektiven Ebene verarbeitet und schafft eine spezifische berufliche Handlungspraxis. An der Kommunikations- und Interaktionsdynamik mit den Hilfeadressat*innen manifestieren sich die Auswirkungen dieses implizit wirkenden Organisationskontextes.


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[1]     vgl. ausführlich hierzu Rohde, G. (2015): Von der Haltung zur Handlung - Einflussfaktoren bei der Hilfeentscheidung im Allgemeinen Sozialen Dienst. Untersuchungsbericht, S. 10f.

[2]     vgl. Albus et al. (2010): Wirkungsorientierte Jugendhilfe. Abschlussbericht der Evaluation des Bundesmodellprogramms "Qualifizierung der Hilfen zur Erziehung durch wirkungsorientierte Ausgestaltung der Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsvereinbarungen nach §§ 78a ff., S. 161 und Pluto, Liane (2007): Partizipation in den Hilfen zur Erziehung. Eine empirische Studie, S. 267.

[3]     vgl. hierzu auch Albus et al. (2009): Elemente Wirkungsorientierter Jugendhilfe und ihre Wirkungsweisen: Erkenntnisse der wissenschaftlichen Evaluation des Bundesmodellprogramms; in: ISA Planung und Entwicklung GmbH (Hrsg.): Schriftenreihe „Wirkungsorientierte Jugendhilfe“, Band 9, S. 58 und Albus et al. (2010): Wirkungen im Modellprogramm, in: ISA Planung und Entwicklung GmbH (Hrsg.): Wirkungsorientierte Jugendhilfe. Abschlussbericht der Evaluation des Bundesmodellprogramms „Qualifizierung der HzE durch wirkungsorientierte Ausgestaltung der Leistungs- Entgelt- und Qualitätsvereinbarungen nach §§78a ff SGB VIII“, S. 159.