Kernprozess Reflexion

Autorin: Carola Medelnik

In den bisherigen Kapiteln wurden die vielfältigen theoretischen Grundlagen aufgeführt die im ASD die Haltung von Mitarbeiter*innen beeinflussen könnten und können. Gehen wir von den Thesen aus, dass die Haltung nicht nur eine persönliche Angelegenheit der Mitarbeitenden ist und sich diese auch noch am Arbeitsplatz beeinflussen lässt, sollen hierfür nun Beispiele angeführt werden, welche Möglichkeiten der Leitung zur Verfügung stehen, Einfluss zu nehmen.

Bereits bei der Einstellung neuer Mitarbeiter*innen im ASD obliegt es den Führungskräften, Fragen zur Haltung zu stellen: Warum wird gerade dieser Arbeitsplatz gewählt? Welches Selbstverständnis und welche Vorstellung der Tätigkeit hat der bzw. die Bewerber*in? Des Weiteren ist zu beachten, wie sich die Person mit ihrer Haltung in das gruppendynamische Gefüge eines Teams eingliedern würde und, ob die Bereitschaft zur Reflexion und kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung gegeben ist. Hierzu haben Pamme und Merchel sog. Fragerichtungen formuliert, die im Vorstellungsgespräch dazu dienen sollen, Kompetenzen und Vorstellungen von Bewerber*innen festzustellen. Dazu zählen Fragen zur Biografie, zur Kenntnis, zu bestimmten Situationen, zur Selbstreflektion und zirkuläre Fragen.[1]

Wenn wir davon ausgehen, dass das Vorstellungsgespräch positiv verläuft und die Person eingestellt wird, folgt im Anschluss die Einarbeitung der bzw. des neuen Mitarbeitenden. Die Einarbeitungsphase ist von besonderer Bedeutung, um die bestehende Haltung herauszuarbeiten und, wenn möglich, zu beeinflussen. Dabei spielt die Organisationsstruktur eine Rolle.[2] Sie ist gegeben und wird durch Rahmenbedingungen und Dienstanweisungen gesetzt, welche von der Leitung vermittelt werden und deren Einhaltung gefordert werden muss. Dies lässt der Leitung wenig Spielraum, hat aber Einfluss auf die Haltung. Umso wichtiger ist das Vermitteln dieser Vorgaben, um festzustellen, ob diese Grundlagen von den Mitarbeiter*innen verstanden, akzeptiert und umgesetzt werden. Hierzu sind Gespräche notwendig, die zur Vermittlung von Vorgaben und Fachwissen für den speziellen Arbeitsbereich, aber auch zur Rückmeldung von Kritik und Lob dienen sollten. Es gibt eine Vielzahl von Gesprächsformen die hierzu von der Leitung genutzt werden können, u. a. Mitarbeiter-, Jahres-, Feedback- oder Zielvereinbarungsgespräche.

Die Einarbeitungsphase ist m. E. prägend für die zukünftige Haltung von Mitarbeiter*innen. Daher ist ein Einarbeitungskonzept von neuen Kolleg*innen im ASD notwendig und sollte für die institutionellen und teamnotwendigen Bedürfnisse vereinbart werden. Im Anhang wird ein Konzept beigefügt, welches von Mitarbeiter*innen und deren Leitung des ASD-Stadtgebiets Nord der Stadt Oldenburg entwickelt wurde.

Die Einarbeitung kann viele Ziele haben, die die Haltung positiv aber auch negativ beeinflussen, sie kann sich z. B. eng auf den Arbeitsplatz beziehen oder auch wichtige ASD-interne und ASD-externe Kooperationspartner berücksichtigen. Es kann eine sachbezogene Einarbeitung bzgl. der Aufgabenerfüllung erfolgen, aber auch eine Einarbeitung, die soziale und informelle Aspekte der Organisation einbezieht.[3] Die Leitung sollte im Rahmen der Einarbeitung v. a. einen systematischen Blick auf die individuelle Kompetenzentwicklung des Mitarbeitenden legen. [4]

Geißler und Hege benennen drei Formen der Kompetenz:

  • Die instrumentelle Kompetenz ist die Beherrschung von Fähigkeiten und Fertigkeiten bis hin zu Verhaltensroutinen und die Verfügbarkeit von Fachwissen.
  • Die reflexive Kompetenz meint die Fähigkeit, die eigene Entwicklung in ihren prägenden Spuren nicht zu verlieren oder zu verleugnen, sondern sie in das berufliche Handeln zu integrieren.
  • Die soziale Kompetenz beinhaltet das Vermögen, sich auf die Adressat*innen mit ihren Bedürfnissen und Anforderung einzustellen, bzw. einzulassen, über die Situation und deren Bedingungen selbst nachdenken zu können und sich nicht in ihr zu verfangen.[5]

Um die Haltung zu beeinflussen, ist besonders die reflexive Kompetenz von Bedeutung. Beinhaltet sie doch den Sachverhalt, dass eigene Persönlichkeitsanteile innerhalb der beruflichen Tätigkeit zum Ausdruck kommen und wirksam werden. Sozialpädagogisches Handeln ist immer intersubjektives Handeln. Die konkrete Interaktion zwischen Sozialpädagogen*in und Adressat*in ist dabei u. a. auch durch die Art der vorherigen Erfahrungen bestimmt, die im Zusammenhang zurückliegender sozialer Interaktionen gemacht wurden. Die Erlebnisse aus früheren Phasen der eigenen Lebensgeschichte beeinflussen das professionelle Handeln der sozialpädagogischen Fachkräfte, sodass ihre berufliche Identität immer nur auf der Basis vorausgegangener Erfahrungen, deren Reflektion und kritischer Aufarbeitung gelingend erfahrbar werden kann. Dieses macht letztlich auch die Einmaligkeit der Person und die Subjektivität im professionellen Handeln aus. Die jeweils aktuellen Befindlichkeiten in Situationen sind oftmals nur im Rückgriff auf vorangegangene Lebenserfahrungen erklärbar und verstehbar (so z. B., ob eine sozialpädagogische Fachkraft eine Situation für besonders bedrohlich hält, ob sie sie wenig oder sehr belastet u. v. a. m.). [6]

Wie kann nun auf den Bereich Haltung Einfluss genommen werden? Im ASD gibt es mehrere Ebenen die Einfluss nehmen können. Das sind z. B. die Leitung, das Team, Adressat*innen, Institutionen, die Gesellschaft usw.

Die Leitung hat im Rahmen der bereits genannten Gesprächsformen die direkte Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, indem Kritik, Lob und Motivation geäußert wird. Sie kann aber noch mehr bieten, indem sie z. B. im Rahmen des Teams Fachdiskussionen anregt, die die kritische Auseinandersetzung befördern. Dazu muss im Team eine offene und partnerschaftliche Kommunikation gepflegt werden. Gerade in schwierigen Phasen ist die Zuhilfenahme einer Teamsupervision von Vorteil. Alternativ kann ein Teamtag mit externer Moderation dazu dienen, Ziele unter der Fragestellung, welche Probleme kurz-, mittel und langfristig gelöst werden müssen und welche Kompetenzen dafür von Bedeutung sind, zu vereinbaren. Indem die Kompetenzentwicklung zu einem gemeinsamen Thema im Team wird, kann das Gelernte später auch am Arbeitsplatz angewendet werden.[7]

In der Arbeit sollte auf der Ebene der einzelnen Mitarbeiter*innen, des Teams und der Leitung immer wieder die Frage gestellt werden, ob die richtigen Dinge getan werden. Um Ziele und Aufgaben zu entwickeln und Ergebnisse zu kontrollieren, bedarf es eines strategischen Controllings der Leitung. Dies ist die Grundlage, um mittel- und langfristige Entwicklungsziele zu verankern. Die Mitarbeiter*innen erhalten dadurch konkrete Vorgaben, welche durch Standards Sicherheit bieten sollen. Wichtig ist hierbei, dass die Leitung eine Strategie bzw. ein Leitbild entwickelt hat und verfolgt, welches den Mitarbeiter*innen bekannt ist und nachvollziehbar erscheint. Auf die Hilfeplanung bezogen, kann z. B. die Partizipation oder die Zusammenarbeit mit den Familien ein Leitbild sein.[8]

Die kollegiale Beratung ist ein weiteres wichtiges Instrument. Gerade in der kollegialen Beratung kommt die Haltung Einzelner sowie des Teams und der Leitung zum Tragen. Fehlende Standards und Leitbilder führen dazu, dass die Mitarbeiter*innen verstärkt subjektiv über eine Hilfegewährung entscheiden. Die kollegiale Beratung, z. B. nach dem Modell von Schrapper[9], bietet jedoch ein strukturiertes Verfahren zur einzelfallbezogenen Diagnose, Beratung und Interventionsplanung. Weitere Modelle sind z. B. von Lüttringhaus und Streich entwickelt worden[10].

In der kollegialen Beratung wird auch die Haltung von Mitarbeiter*innen gegenüber den Adressat*innen deutlich. Besonders schwierig und wichtig ist beides im Umgang mit Kindesmisshandlung. In diesem Fall kommen die Mitarbeiter*innen schneller an Grenzen, Emotionen eskalieren, Polarisierung entsteht, sie werden angefeindet und hinterfragt, sollen aber schnell, besonnen und entschieden handeln, umfassend recherchieren und bewerten, müssen alles beachten und dürfen nichts vergessen.[11] Sabine Ader schreibt hierzu, dass eine innere Haltung erforderlich ist, die bereit ist, auch in Familien mit vielschichtigen Problemen die Potenziale zu erkennen und zu stärken. Ebenso ist festzustellen, ob Kinder einen emotionalen, sozialen und realen Platz in ihrer Familie haben und sie das erhalten, was sie brauchen und worauf sie ein Recht haben. Neben fundierten sozialwissenschaftlichen Kenntnissen, z. B. über die Entwicklung von Krisen in familiären Systemen oder die biografische Bedeutung früh erlebter Vernachlässigung, ist hierfür insbesondere die Entwicklung einer subjektiven Wahrnehmungs- und Deutungskompetenz notwendig. Darüber hinaus müssen Mitarbeiter*innen in stabile Organisationen, tragfähige Handlungskonzepte und kollegiale Zusammenhänge eingebunden sein.[12] Besonders wichtig ist in diesen Situationen die Begleitung von Mitarbeiter*innen durch die Leitung. Hier spielt es eine Rolle, ob das Gefühl der Überforderung, die zu Fehlentscheidung führen kann, überwiegt oder, ob standardisierte Abläufe, Vorgaben und Rücksprachen verankert und praktiziert werden. Dies einzufordern, zu überprüfen und anzubieten obliegt immer wieder der Leitung.

Abschließend kann gesagt werden, dass die Arbeit im ASD Mitarbeiter*innen verändert. Die Herausbildung einer Haltung durchläuft einen Prozess, der negativ
oder positiv verlaufen kann. Lässt die Leitung die Mitarbeiter*innen in diesem Prozess allein, wird sich die Haltung trotzdem entwickeln. Folglich muss es im Interesse der Leitung sein, Haltung durch die oben genannten Möglichkeiten und v. a. in den persönlichen Gesprächen und Diskussionen mit zu prägen. Dabei ist es besonders wichtig, dass sich Leitung auch immer bewusst ist, dass sie ein Vorbild ist, an dem sich Mitarbeiter*innen orientieren und von dem sie Begleitung und Unterstützung erwarten. Die Aufgabe von Leitung ist es, Haltung zu fordern und zu fördern. Dazu ist ein offener und respektvoller Umgang notwendig. Mitarbeiter*innen im ASD benötigen diese intensive Begleitung und Anleitung, um eine reflektierte Haltung sich selbst und auch den Adressat*innen gegenüber entwickeln zu können und diese im Laufe der Berufstätigkeit nicht zu verlieren. Hierzu ist am Beginn der Tätigkeit im ASD eine umfassend Einarbeitung, flankiert von Fortbildungen, die dazu beitragen Sicherheit und Kompetenz aufzubauen, notwendig. Im Laufe der Tätigkeit hört die Notwendig zur Reflexion nicht auf. Sie kann durch kollegiale Beratung, Supervision und Fortbildung sowie ein fundiertes Repertoire an Methoden (z. B. Familienbrett, Ressourcenkarten usw.) weiterhin gewährleistet werden.

Eine Haltung kann sich verändern, ist von der eigenen Persönlichkeit geprägt und unterliegt steten Einflüssen ob nun persönlichen, gesellschaftlichen und institutionellen. Daher ist es entscheidend, im ASD stetig an Konzepten, z. B. zur Einarbeitung von neuen Mitarbeiter*innen oder zu Methoden wie z. B. der kollegialen Beratung, zu arbeiten, um Einfluss auf die Haltung der Mitarbeiter*innen im ASD nehmen zu können.


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[1]     vgl. Pamme, Hildegard und Merchel, Joachim (2014): Personalentwicklung im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD). Konzeptionelle Herangehensweisen und Arbeitshilfen, S. 78-117.

[2]     s. Kapitel 3.

[3]     s. Kapitel 3.

[4]     vgl. Pamme, Hildegard und Merchel, Joachim (2014): Personalentwicklung im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD). Konzeptionelle Herangehensweisen und Arbeitshilfen, S. 117-149.

[5]     vgl. Geißler, Karlheinz A. und Hege, Marianne (1995): Konzepte sozialpädagogischen Handeln, S. 227-234.

[6]     s. hierzu auch die Kapitel 1.1 und 3.

[7]     vgl. Arnold u.a. 2006, 30f.

[8]     Moos et al.(2014): Controlling in kommunalen Jugend- und Sozialhilfeverwaltungen - Eine Studie zum Ausbaustand, in: Nachrichtendienst des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. 5/14, S. 231-236.

[9]     vgl. Schrapper, Christian und Thiesmeier, Monika (2004): Wie in Gruppen Fälle gut verstanden werden können. Teamorientierte Diagnose- und Beratungsprozesse am Bespiel sozialpädagogischer Fallarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Carl
         Otto Velmerig, Karl Schattenhofer, Christian Schrapper (Hrsg.): Teamarbeit. Konzepte und Erfahrungen – eine gruppendynamische Zwischenbilanz, S. 118-132.

[10]    vgl. Lüttringhaus, Maria und Streich, Angelika (2008): Risikoeinschätzung im Team: Keine Zeit? Höchste Zeit“ – Das Modell der Kollegialen Kurzberatung zur Risikoeinschätzung und Planung des weiteren Vorgehens. In: EREV Schriftenreihe, 49.
         Jg., Heft 1/2008, S. 48ff. und Lüttringhaus, Maria und Streich, Angelika (2011): Das Modell der ressourcenorientierten kollegialen Fallberatung in der Jugendhilfe. In: Jugendhilfe, 49. Jg., 1/2011, Trends und Berichte S. 411.

[11]    Heidelbach, Ute (2005): Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) im sozialpädagogischen Handlungsfeld von Kindesmisshandlung, sexuellem Missbrauch und Kindesvernachlässigung. In: Günther Deegener und Wilhelm Körner (Hrsg.),
         Kindesmisshandlung und Vernachlässigung: Ein Handbuch, S. 430-445.

[12]    vgl. Ader, Sabine (2006): Was leitet den Blick? Wahrnehmung, Deutung und Intervention in der Jugendhilfe.