Einleitung

Autor: Joachim Glaum

Ein wichtiges Ergebnis der ersten Dekade der Arbeit der IBN mit deren umfangreichem Kennzahlenset war und ist die Enttäuschung der reinen Zahlengläubigkeit und der Anhänger einfacher linearer Steuerungsmodelle in den Jugendämtern. Die Arbeit in den Jugendämtern allgemein und die Steuerung der Hilfen zur Erziehung (HzE) im Besonderen erwiesen sich als weit komplexer und entzogen sich hartnäckig einfacher Erklärungen. In diesem Zusammenhang tauchte immer wieder der Begriff „Haltung“ in verschiedenen Vergleichsringen, bei verschiedenen Themen und in unterschiedlichen Zusammenhängen auf. Die Vergabe einer Hilfe zur Erziehung sei beispielsweise eng verknüpft mit der Haltung der Fachkraft. Es gab in den Diskussionen der Fachleute aus den Jugendämtern auffallend wenig Widerspruch bei solchen Aussagen. Wie abhängig ist ein Kind oder eine Familie von der individuellen Haltung einer pädagogischen Fachkraft in Bezug auf ihren Hilfebedarf? Welchen Einfluss auf die Gewährung und die Auswahl einer Hilfeart hat die Haltung der Sozialarbeiterin bzw. des Sozialarbeiters? Verkaufen die Jugendämter dem Kunden, der einen Fernseher benötigt vielleicht einen Kühlschrank oder einen Toaster?

An einem derartigen Punkt der Diskussion in den IBN-Zusammenhängen wurde diese in den vergangenen Jahren oft beendet. Die Haltungen der Mitarbeiter*innen und der Organisation werden als sog. weiche Steuerungsfaktoren eingestuft, die schwieriger zu fassen, komplexer Natur, mehr implizit als explizit, persönlichkeitsbedingt und ohnehin dem oft noch vorhandenen linearen Steuerungsverständnis schwer zugänglich sind.

Die IBN-Vergleichsringe 1 und 2 haben 2015 beschlossen, sich wegen der offensichtlich großen Bedeutung für die Arbeit der Jugendämter mit dem Thema „Selbstverständnis und Haltung des Jugendamtes“ intensiver zu befassen. Es sollte die Wechselwirkung zwischen Persönlichkeit und Organisation in den Blick genommen werden. Die Frage, ob und wie ein Jugendamt eine Haltung entwickeln, diese mit und in die Mitarbeiterschaft kommunizieren kann.

Der Arbeitsprozess, der die vorliegende Handreichung hervorgebracht hat, war für den in der IBN üblicherweise vorhandenen Rahmen von drei Sitzungen eines Vergleichsringes im Jahr unüblich und herausfordernd. Der Prozess war nur möglich mittels der Bildung einer Kernarbeitsgruppe, die den Prozess begleitet, immer wieder fokussiert und vorangetrieben hat. Das Ergebnis ist – wie in der IBN üblich – eine Mischung aus der aufbereiteten wissenschaftlichen Theorie hinter dem Thema und dem Versuch, Arbeitshinweise oder Empfehlungen für praktisches Handeln in den Jugendämtern zu geben.

Allerdings soll hier nicht verschwiegen werden, dass eine wesentliche Schwierigkeit dieses Arbeitsprozesses genau darin bestand, das Thema „IBN-like“ aufzubereiten. In der IBN steht nicht die wissenschaftstheoretische Abhandlung im Vordergrund, es ist die praktische Anwendbarkeit der Produkte der IBN, die zu erreichen ist. Das Thema „Haltung“ geriet in diesem Prozess immer wieder in Gefahr, uns durch die Hände zu gleiten. Es bietet sich an für Allgemeinplätze, stundenlange philosophische Erörterungen oder ist ein ideales Thema für wissenschaftliche Ausarbeitungen auf den Feldern der Soziologie, Psychologie, Organisationstheorie. Aber wie kann es im Jugendamt erreicht werden, zu bestimmten Themenbereichen eine Haltung explizit zu formulieren? Wo und an welcher Stelle ist ein derartiger Schritt sinnvoll und notwendig? Wie kann Leitung vorgehen, ohne von den eigenen Mitarbeiter*innen die „rote Karte“ zu bekommen?

Diese Arbeitshilfe kann sicherlich nicht alle Fragen beantworten. Sie kann jedoch als Ausgangspunkt für die Befassung mit der Thematik genutzt werden, sich diesem offensichtlich immer gegenwärtigen Thema gezielter zuzuwenden.

Die Arbeitshilfe greift hier sowohl die in der individuellen Persönlichkeit liegenden Grundlagen des Begriffs auf und befasst sich mit den Fragen der Sozialisation, der Berufswahl und des Menschenbildes. Anschließend wird die Frage nach dem Bezug zur IBN und zur Steuerungsthematik aufgegriffen. Damit wird der Bogen zum Thema „Qualitäts- und Organisationsentwicklung“ gespannt. Verschiedene Organisationstheorien und -modelle werden vorgestellt, um anschließend konkrete Anknüpfungspunkte für die Auseinandersetzung mit den Fragen einer professionellen sozialpädagogischen Haltung im Jugendamt zu konkretisieren. Hier werden die Kernprozesse und der Reflektion der Steuerung sozialpädagogischer Prozesse aufgegriffen.


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