1. Planungskultur und Haltung
Leitsätze
Die Organisationskultur im Jugendamt bestimmt den Stellenwert von Planung. Es ist maßgeblich, welches Verständnis auf der Leitungs- / Führungsebene für die Planungsprozesse und die Jugendhilfeplanung bestehen und wie viel Gewicht der Planung beigemessen wird.
Menschen, die miteinander arbeiten und längere Zeit im Austausch sind, egal ob in einem Jugendamt oder anderswo, entwickeln eine gemeinsame Kultur, die sie verbindet. Diese Kulturen bilden die nicht sichtbaren, aber vorhandenen Einflussfaktoren aus formalen Vorgaben und Anweisungen, informellen Regeln, gemeinsamen Annahmen und Haltungen sowie Abläufen und Standards.
Abbildung 1: Einflussfaktoren auf die Jugendhilfeplanung
Die Kultur einer Organisation entscheidet maßgeblich darüber, welchen Stellenwert Planung hat und wie erfolgreich sie sein kann. Deshalb wird der Einfluss der Organisationskultur auf die Jugendhilfeplanung am Anfang der Praxishilfe beschrieben.
Im Rahmen der Themen-AG wurden vier Dimensionen identifiziert, die Einfluss auf die Planung haben (vgl. Abbildung 1). Diese sind als Einflussfaktoren für Planungsprozesse und damit für die Jugendhilfeplanung zu verstehen. Es ist maßgeblich, welches Verständnis auf der Leitungs- / Führungsebene für die Planungsprozesse und die Jugendhilfeplanung besteht und wie viel Gewicht der Planung beigemessen wird. Die Planungskultur setzt sich aus den Regelungen und Sichtweisen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie den Leitungskräften der gesamten Organisation zusammen, d.h. auch der Dezernats-, Landrats- oder Bürgermeisterebene. Jede dieser Ebenen trägt ihren Teil zum Verständnis einer Planungskultur bei und erst in der Gesamtheit dieser Ebenen entwickelt sich ein gemeinsames Verständnis von Planung. Dadurch werden Planungsprozesse und -aufgaben sowie die Planungsstruktur maßgeblich geformt, wodurch die Jugendhilfeplanung als zukunftsorientierte, strategische Jugendhilfeplanung verstanden wird. Andernfalls wird Planung als reaktive, kurzfristig ausgerichtete Planung vollzogen („adhoc-Aufgaben“). Die Beteiligten der Themen-AG haben sich grundsätzlich für eine proaktive Planung ausgesprochen, auch wenn die Praxis zeigt, dass Planung auch anlassbezogen und ad-hoc erfolgen kann. Diese gegensätzlichen Pole werden auch weiterhin bestehen. Dennoch ist die Grundhaltung, dass eine gelingende Jugendhilfeplanung proaktiv gestaltet werden sollte.
Diesem Verständnis folgend, vollzieht sich Jugendhilfeplanung als Aufgabe innerhalb eines Jugendamtes auf verschiedenen Ebenen, so dass es wichtig ist, sich für eine gelingende Planung damit auseinanderzusetzen, welche Personen an welchen Planungsprozessen zu beteiligen sind, diese durchführen oder Entscheidungen treffen. Grundsätzlich sollte ein Verständnis vorliegen, dass Jugendhilfeplanung als Aufgabe ein Bestandteil aller Akteursebenen innerhalb des Jugendamtes ist. Angefangen von der operativen Ebene bis hin zu den Führungskräften wie bspw. Fachbereichsleitungen oder Dezernatsleitung auf der strategischen Ebene. Planungsprozesse können deshalb sowohl Top-Down, als auch Buttom-Up erfolgen (vgl. nachstehende Abbildung 2), wenn dahingehend eine Planungskultur gegeben ist.
Förderlich ist es, zwischen operativer und strategischer Planung zu unterscheiden, um wiederum die verschiedenen Akteure nachhaltig einzubeziehen und sie als Bestandteil von Planungsprozessen zu sehen.
Abbildung 2: Akteure auf der operativen sowie strategischen Ebene der Jugendhilfeplanung
Im innersten Kreis der Abbildung 2 sind die Fachkräfte der operativen Ebene aufgeführt (bspw. des PKD, ASD, WJH, EGH). Die mittlere Führungsebene sind die unmittelbaren Vorgesetzten der Fachkräfte. Auch sie stellen noch die operative Ebene dar, haben aber auf Grund ihrer Funktion bereits eine Nähe zur Jugendhilfeplanungsfachkraft. Die nächste Ebene stellt bereits die Fachbereichs- / Fachdienstleitung dar und kann um die nächste höhere Hierarchieebene erweitert werden. Ab dieser Ebene findet in der Regel eine strategische Planung und Ausrichtung statt, die i.d.R. mit dem Jugendhilfeausschuss rückgekoppelt wird. Die Ebene der Externen spiegelt bspw. die ‚AG § 78´ und damit die strukturelle Kooperation zwischen öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe wieder, als Externe gelten ebenfalls die Adressatinnen und Adressaten. Diese Ebenen haben Einfluss auf die Jugendhilfeplanung und sollten entsprechend in den weitergehenden Planungsprozessen adäquat berücksichtigt werden.
Grundsätzlich ist es von Vorteil, innerhalb des Jugendamtes zwischen operativer und strategischer Planung zu unterscheiden. Eine transparente Kommunikation bzgl. dieser Ebenen befördert diese Kultur, wodurch Synergieeffekte zwischen den Akteuren entstehen, um sich einem gemeinsamen Planungsprozess zu widmen. Die Akteursebenen greifen ineinander. Die nächste Abbildung 3 konkretisiert in Fortsetzung zur Abbildung 2, dass sich die Planungsprozesse auf Grund der jeweiligen Akteursebenen zur strategischen bzw. zur operativen Planung hin entwickeln können. Welche Planungsprozesse sich konkret ergeben, hängt vom jeweiligen Planungsgegenstand ab. Hierüber wiederum gibt § 80 SGB VIII Aufschluss, dass Jugendhilfeplanung grundsätzlich den Bestand und Bedarf zu erheben hat, um wiederum daraus ableitend die Maßnahmenplanung zu entwickeln.
Abbildung 3: Planungsebenen der Jugendhilfeplanung
Nachstehend werden die Akteursebenen, wie in Abbildung 2 dargestellt, dahingehend näher betrachtet, welcher Einfluss von ihnen ausgehen kann bzw. wie Planungsprozesse mit ihnen idealtypisch gestaltet werden können.
Fachkräfteebene
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die wichtigsten Akteure auf der Umsetzungsebene. Sie sind unabdingbar, wenn es um das interne Erfassen von planungsrelevanten Daten sowie die Umsetzung von Planungszielen geht. Häufig beginnen und enden (interne) Planungen bei den Mitarbeitenden, weshalb die Zusammenarbeit und die Mitwirkung der Kolleginnen und Kollegen unverzichtbar ist.
Hierbei ist es wichtig, dass Planungsprozesse gegenüber den Fachkräften auf der operativen Ebene (bspw. Fachkräfte des Allgemeinen Sozialen Dienstes, Pflegekinderdienstes, der Eingliederungshilfe oder Beratungsstellen) transparent gestaltet werden. Planungsprozesse können, müssen aber nicht zwangsläufig zu Veränderungen bzw. veränderten Arbeitsabläufen führen. Jedoch stehen hinter Planungsprozessen häufig Optimierungen / Weiterentwicklungen für die eigene Organisation, wodurch vorhandene Prozessabläufe / Standards für die Arbeit diskutiert, erörtert und angepasst werden können. Planung beinhaltet damit beides: Veränderung sowie Stabilisierung von Vorhandenem.
Hierüber sind die Fachkräfte zu informieren und zu beteiligen. Ohne klare und verständliche Planungsvorbereitung für die Mitarbeitenden, kann eine Haltung entstehen, die in etwa so lautet:
Intransparente Planung = Unklarheit über Planungziele = geringe oder fehlende Akzeptanz von Planungprozessen
Deshalb ist es entscheidend, die konkreten Planungen auf der Mitarbeiterebene transparent darzustellen und das gewünschte oder wahrscheinliche Ergebnis miteinander zu besprechen und ggf. abzuändern, damit eine Akzeptanz für die Planung entsteht. Dafür ist eine Organisationskultur wichtig, die diese Akteursebene in planerische Prozesse einbindet und diese partizipativ und transparent gestaltet. So können Entwicklungsprozesse gemeinsam bearbeitet und Planungsziele erreicht werden. Nicht wenige Veränderungsprozesse sind an einer offenen oder latenten Verweigerungshaltung von Mitarbeitenden gescheitert. Besteht eine Kultur innerhalb der Organisation, die partizipativ ausgerichtet ist, könnte die Formel sich so darstellen:
Transparente und partizipative Planung = Identifikation mit dem Planungziel = Akzeptanz von Planungprozessen
Für Planungsfachkräfte und Leitungen ist es harte Arbeit, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an einer positiven Grundhaltung bezüglich Planungsprozessen zu arbeiten. Nicht jede bzw. jeder lässt sich mitnehmen. Dennoch ist es notwendig, Planungsvorhaben und Prozesse immer wieder transparent, nachvollziehbar und mitbestimmbar zu gestalten, um diese erfolgreich umsetzen zu können.
Führungskräfteebene
Je klarer das Verständnis der Funktion einer Jugendhilfeplanungsfachkraft und der Aufgabe der Jugendhilfeplanung ist, desto besser können sich die einzelnen Akteursebenen (vgl. Abbildung 2) ergänzen. Nachteilig für eine Planungsfachkraft ist ein unklarer Status und damit einhergehende Überschneidungen von Planungszuständigkeiten (wer macht was?). Wird die Jugendhilfeplanung als Konkurrenz oder Bedrohung wahrgenommen, ist sie nur noch schwer umzusetzen. Deshalb ist das Verständnis von Planung auf der Führungskräfteebene ebenfalls entscheidend für die Aufgabenwahrnehmung der Jugendhilfeplanung.
Zwischen Leitungskräften und der Jugendhilfeplanung sollte ein Konsens darüber hergestellt werden, welche Planungsaufgaben die Leitungskraft erledigt und welche die Planungskraft. Zu unterscheiden sind in diesem Zusammenhang die operative Planung und die strategische Planung (vgl. Abbildung 3). Operative Planungen bearbeiten unmittelbare oder mittelbare Umsetzungsfragen und obliegen in der Regel der Leitungskraft. Durch operative Planung wird die Frage beantwortet, wie ein Themenkomplex, Sachverhalt oder Problem in der Organisation, Abteilung oder Team gelöst wird. Operative Planungen sind nur begrenzt delegierbar und sollten daher von den Leitungskräften wahrgenommen werden. Bei Bedarf sollten operative Planungen nur in einem klar definierten Rahmen an die Jugendhilfeplanung übertragen werden. Strategische Planungen stellen im Kern die Frage, welche Herausforderungen und Themen mittel- bis langfristig relevant sind. Sie sollten im Schwerpunkt durch die Jugendhilfeplanung bearbeitet werden. Sie beschäftigen sich mit dem `Was´, weniger mit dem `Wie´. Strategische Fragen sind in der Regel übergeordnet über Fragestellungen, mit denen sich einzelne Teams oder Abteilungen in ihrer täglichen Arbeit beschäftigen. Daher sollten sie zur Bearbeitung über die jeweiligen Bereichsgrenzen hinausgehen und nicht im operativen Geschäft bearbeitet werden. Ebenso wie auf der Sachbearbeiterebene kann Planung für Leitungskräfte zu Ergebnissen führen, die sich nicht sofort erschließen oder gewünscht werden. Daher ist auch hier die größtmögliche Transparenz und Nachvollziehbarkeit sowie die Möglichkeit der Mitbestimmung notwendig. In diesem Kontext findet sich die Organisationskultur dahingehend wieder, wo die Planungsfachkraft (im Sinne ihrer Funktion) verortet ist: Stabstelle vs. Teamzugehörigkeit? Beides hat seine Vor- und Nachteile, was seitens der Führungsebene berücksichtigt werden muss.
Übergeordnete Ebene
Die übergeordnete Ebene, in der Regel die Dezernatsebene, ist für die Planungskultur von entscheidender Bedeutung. Insbesondere für strategische Fragestellungen ist es notwendig, die Dezernatsebene in die Bearbeitung übergeordneter Fragen einzubinden. Nur so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass bei festgestelltem Handlungsbedarfen als Ergebnis der Planung die notwendigen finanziellen und personellen Mittel zur Umsetzung bereitgestellt werden. Gleiches gilt für den Jugendhilfeausschuss, der bei relevanten Entscheidungen, die nicht ausschließlich in der Verwaltung getroffen werden können, einzubeziehen ist.
Zusammenfassend können folgende Gelingensfaktoren für eine förderliche Organisationskultur im Kontext der Jugendhilfeplanung beschrieben werden, die für alle Planungsebenen gilt:
Es besteht (im Sinne einer Kultur) ein Verständnis davon, dass Jugendhilfeplanung als Aufgabe auf allen Ebenen stattfindet.
- Die Jugendhilfeplanungsfachkraft stellt eine Schlüsselfunktion dar und koordiniert die verschiedenen Akteure für die gemeinsamen Planungsprozesse.
- Im Jugendamt wird zwischen der operativen und der strategischen Jugendhilfeplanung bewusst unterschieden.
- Es besteht ein Verständnis von einem „gemeinsamen Jugendamt“, insbesondere bei Planungen, die über die eigene Arbeitssphäre, sei es ein Team oder eine Abteilung, hinausgehen.
- Ein gemeinsames, beteiligungsorientiertes, strukturiertes Planungsverständnis zwischen der Planungsfachkraft und (ihrer) Leitung ist vorhanden.
- Die Organisation versteht sich als voneinander lernende Organisation.
- Es besteht eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit. Fehler werden innerhalb der Organisation als Chance für die Weiterentwicklung verstanden.
- Es besteht ein gemeinsames Verantwortungsgefühl für die Weiterentwicklung von Inhalten und Strukturen.
- Jugendhilfeplanung hat große Schnittmengen zum Controlling, welches ein eigenes Aufgabengebiet darstellt.