5. Aufgaben des Pflegekinderdienstes in der Hilfeplanung


 

Teil B

Die fachliche Arbeit der Pflegekinderdienste: Qualitätsstandards und Prozessqualitäten

Die vorangegangenen Kapitel haben sich mit den Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche und bedarfsgerechte Pflegekinderarbeit, den Strukturqualitäten, befasst. Rationale, der komplexen Aufgabenstellung angemessene Strukturen sind unerlässlich. Sie entlasten vom Entscheidungsdruck, vermitteln Sicherheit und Verlässlichkeit, sorgen für Transparenz und wirken stabilisierend für Alltagsroutinen. Dennoch ist eine „gute“ Struktur lediglich eine notwendige Bedingung für fachliches Handeln, jedoch noch keine hinreichende. Innerhalb der Struktur gilt es jene Prozesse zu gestalten, die den Kern der Aufgabenwahrnehmung ausmachen. Die Gestaltung des Hilfeprozesses bedarf daher eigener Überlegungen. Dieser Teil handelt also von den fachlichen Aufgaben im Pflegekinderbereich.

Gegliedert ist der Teil entlang den tatsächlichen Aufgaben von Pflegekinderdiensten. Kapitel 5 ist der Beteiligung des PKD an der Hilfeplanung gewidmet. Dabei wird auch auf die Mitarbeit von Pflegepersonen an der Zielerreichungsdokumentation eingegangen (vgl. Kap. 1.2.2 und Kap. 1.2.3), und die sich aus § 8a SGB VIII ergebenden Anforderungen an Pflegekinderdienste werden erörtert. Die dem Kapitel beigegebenen Anlagen verstehen sich als Hilfsmittel für die Informationssammlung im Vorfeld einer Inpflegegabe und für die von sozialpädagogischen und sonderpädagogischen Pflegeeltern zu erstellenden Zielerreichungsdokumentationen.

Im Kapitel 6 werden die Aufgaben von Pflegekinderdiensten im Vorfeld der Inpflegegabe eines Kindes beschrieben, im Kapitel 7 die Unterstützung und Beratung der an einem Pflegeverhältnis beteiligten Personen (Pflegekinder, Herkunftsfamilien und Pflegeeltern), im Kapitel 8 Aufgaben, die sich bei der Beendigung von Pflegeverhältnissen ergeben. Nicht alle Vorschläge und Erörterungen dieser Kapitel werden die Zustimmung aller Leserinnen und Leser finden. Sie können aber als Anregung für die Entwicklung eigener fachlicher Standards gelesen werden.

Neben den fallbezogenen Arbeiten steht jedes Jugendamt vor der Aufgabe, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, geeignete Bewerberinnen und Bewerber um Pflegekinder zu informieren, sie auf ihre Aufgabe vorzubereiten und sie prozessbegleitend bei der Sorge um das Pflegekind durch Fortbildung und Supervision zu unterstützen. Anregungen zur Durchführung dieser Aufgaben enthalten die Kapitel 9.1 und 9.2. Ferner: Ein Pflegekinderdienst kommt nicht umhin, sich gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit, der Fachöffentlichkeit und gegenüber jugendpolitischen Gremien und anderen Abteilungen des Jugendamts zu legitimieren und Rechenschaft über seine Arbeit abzulegen. Anregungen zur Gestaltung eines öffentlichen Berichtswesens enthält Kapitel 9.3.1. Und schließlich: Pflegekinderdienste sollten sich selbst der Erfolge ihrer Arbeit vergewissern und in einem permanenten Prozess Abläufe, Verfahrensweisen und fachliche Normen überprüfen. Diese als (Selbst-)Evaluation gekennzeichnete Aufgabe ist Gegenstand des Kapitels 9.3.2.


 

5. Aufgaben des PKD in der Hilfeplanung

Die Hilfeplanung obliegt zunächst dem ASD. Er erarbeitet die Eingangsdiagnostik und legt im Zusammenwirken mit Fachkollegen und den Leistungsberechtigten die Hilfeart fest. Die Zuständigkeit des ASD bleibt auch in Fällen von Fremdplatzierungen bestehen, soweit diese einen befristeten Charakter aufweisen bzw. deren Dauerhaftigkeit (noch) nicht festgestellt werden kann. Kommt es aber zu der Entscheidung, dass die Betreuung und Erziehung eines Kindes/Jugendlichen dauerhaft der Pflegefamilie obliegen soll, so geht die Zuständigkeit des Falles – und damit auch die weitere Hilfeplanung für dieses Kind / diesen Jugendlichen – auf den PKD über (vgl. Kap. 2.1.1). Entsprechend hat der PKD eigenverantwortlich den Hilfeplan fortzuschreiben und die weitere Hilfe anhand des Plans zu kontrollieren.

Grundsätzliches Kriterium der Hilfeplanung muss die Kontinuitätssicherung sein. Es ist auf jeden Fall zu vermeiden, dass Diskontinuitäten durch häufige Lebensortwechsel entstehen, da die Stabilität und Berechenbarkeit des Lebensortes und Lebensfeldes Faktoren sind, die eine gute Entwicklung von Kindern positiv beeinflussen. Stabilität ist eine Voraussetzung, damit überhaupt die Chance besteht, dass sich sichere Bindungen und Ressourcen bei Kindern entwickeln können.[1]

Die nachfolgenden Erörterungen und Empfehlungen zur Ausgestaltung der Hilfeplanung beziehen sich ausschließlich auf die vom PKD zu leistenden Aufgaben.



[1]    Dies ist auch eine Grundforderung des Dialogforums Pflegekinderhilfe: Ein Gremium zur Erarbeitung fachlicher und rechtlicher Vorschläge zu Reformen in der Pflegekinderhilfe. (http://www.igfh.de/)


5.1 Hilfefortschreibung und Berichtswesen auf einheitlicher Grundlage

Die Hilfeplanung des PKD im Rahmen einer auf Dauer angelegten Pflege baut in der Regel auf den vorangegangenen Hilfeplänen des ASD auf. Insofern handelt es sich um eine Hilfeplanfortschreibung, die sich nun schwerpunktmäßig mit dem Kind/Jugendlichen beschäftigt. Die Herkunftsfamilie kann allerdings an Bedeutung gewinnen, wenn über persönliche Kontakte zwischen Herkunftsfamilie und Pflegefamilie relevante Informationen vorliegen, die Auswirkungen auf das Kind / den Jugendlichen haben. Gleiches gilt für den Bereich der Verwandtenpflege. Hier ist unter Umständen ein größeres Gewicht auf die familiale Situation zu legen, da diese Pflegeverhältnisse dem PKD häufig erst im Nachvollzug bekannt werden und insofern weder eine Auswahl noch eine Qualifizierung stattgefunden hat.

Über die Hilfeplanfortschreibung hinaus ist der Pflegekinderdienst auch für mögliche weitere Berichte zuständig: Stellungnahmen an das Familiengericht, Berichte an den Vormund und ggf. für weitere Zwecke. Alle Berichte fußen auf Informationen, die im Laufe von Begleitung und Betreuung des jeweiligen Pflegeverhältnisses gesammelt werden müssen. Es geht um die Situation und Entwicklung des Pflegekindes, der Pflegefamilie, und z. T. auch der Verwandten-/Herkunftsfamilie, und um entsprechende Wechselwirkungen mit Konsequenzen für das Pflegeverhältnis. Aus solchen Informationen ergeben sich – spätestens mit der Erstellung eines Berichtes oder des Hilfeplans – Konsequenzen für die weitere Ausgestaltung des Pflegeverhältnisses, für die Verfolgung unterschiedlicher Ziele, die Vorbereitung einer Rückkehr oder die Verdeutlichung der aktuellen Situation für Dritte (z. B. Gericht).

Die für unterschiedliche Zwecke benötigten Informationen unterscheiden sich in der Regel nur in Einzelheiten bzw. in deren Gewichtung für den jeweiligen Zweck. Vorgeschlagen wird deshalb die Nutzung eines einheitlichen Beobachtungsrasters als Checkliste für die Informationssammlung.[1] Es gilt, unter Zuhilfenahme der Liste die Entwicklungen, soweit sie für das Pflegeverhältnis von Bedeutung sind, zu dokumentieren und diese Informationen zur weiteren Verarbeitung bereitzuhalten. Selbstverständlich ist, dass die Informationen mit den jeweils Beteiligten – im Pflegekinderwesen mit den Pflegeeltern und den Pflegekindern – erörtert und auch mit Blick auf mögliche Ziele hin interpretiert werden. Das Beobachtungsraster kann hier für die Einheitlichkeit der Dokumentation sorgen und damit für eine berichts- und hilfeplanrelevante Datenbasis. Dies gilt vor allen Dingen auch dann, wenn der ASD mit dem weitgehend gleichen Beobachtungsschema arbeitet und seine Anamnesen dadurch strukturiert.

Zur Beobachtung wird ein Raster (Anlage 1 zu diesem Kapitel) vorgeschlagen, das alle relevanten Beobachtungsdimensionen abdeckt und darüber hinaus der spezifischen Kon­stellation der unterschiedlichen Beteiligten gerecht wird. Das Raster ist in drei Ebenen unterteilt, deren Grad der Konkretisierung sich kontinuierlich erhöht. Entsprechend der Funktion einer Checkliste kann hier überprüft werden, ob Informationen aus den aufgelisteten Beobachtungsdimensionen vorliegen oder benötigt werden.

Die Checkliste kann einerseits als Frage- und Erinnerungsinstrument genutzt werden oder als Instrument zum Nachtrag von Informationen. Im ersten Fall könnte der Gebrauch z. B. mit der Frage verbunden sein: „Habe ich auf die Entwicklung der Kulturtechniken des Kindes geachtet?“, im zweiten Fall können bereits vorhandene Informationen unter Verwendung des strukturierten Rasters dokumentiert werden. Die Benutzung der Checkliste ist nicht auf die Ersterhebung von Informationen beschränkt, sie kann – und sollte – auch bei der Fortschreibung der Hilfepläne eingesetzt werden. Sie stellt eine generelle Unterstützung der Arbeit dar und kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt zur Anwendung kommen.



[1]    Gegebenenfalls sollte dies elektronisch unterstützt erfolgen.


5.2 Anforderungen an die Hilfeplanung aus Sicht des PKD

Das wichtigste Planungsdokument ist der Hilfeplan. In ihm wird die aktuelle Situation verdeutlicht, werden die zu erreichenden Ziele aufgeführt, wird die zurückliegende Entwicklung bewertet und werden Perspektiven der zukünftigen Entwicklung dargestellt. Die Grundlage des Hilfeplans bilden die im Prozess der Begleitung und Betreuung des Pflegeverhältnisses ermittelten Informationen.

Die konkrete Strukturierung des Hilfeplans für den Bereich des PKD liegt in der Verantwortung des jeweiligen Jugendamtes, es muss aus ihm jedoch in jedem Fall eine differenzierte Auskunft über das Kind / den Jugendlichen und die Entwicklung der Hilfe ersichtlich sein. Die Tabelle listet die Soll-Felder des Hilfeplans auf.

Tabelle 19: Soll-Felder des Hilfeplans

 

Soll-Felder im Hilfeplan

 

Feldbeschreibung

Inhalt

A

Stammdaten

Persönliche Daten, Daten der Pflegefamilie, Sorgeberechtigte, usw.

B

Beschreibung der bisherigen Hilfeentwicklung

Zielerreichungen, Probleme, Ressourcen usw.

Einbeziehen der unterschiedlichen Sichtweisen (junger Mensch, Pflegeeltern bzw. Verwandte, evtl. Sorgeberechtigte, PKD)

C

Beschreibung der zukünftigen Handlungsschritte und Ziele

Einbeziehen der unterschiedlichen Sichtweisen (junger Mensch, Pflegeeltern bzw. Verwandte, evtl. Sorgeberechtigte, PKD)

D

Beschreibung von Abspra­chen und zusätzlichen Hilfeangeboten

Therapien, Hausaufgabenhilfen usw.

E

Rückkehrvereinbarungen

Festlegung der dazu notwendigen Schritte und Zielerreichungen

F

Umgangsregelungen

Vereinbarungen und Ausgestaltung

 

Mit Blick auf die Beschreibung der bisherigen Hilfeentwicklung und der zukünftigen Handlungsschritte können die Informationen herangezogen werden, die über die Checkliste er­mittelt wurden.


5.3 Beteiligung von Pflegeeltern an der Hilfeplanung

Teil der Aufgabe von Pflegeeltern in der „Sozialpädagogischen Pflege“ und der „Sonderpädagogischen Pflege“ ist das regelmäßige Verfassen von Berichten über den Stand der Hilfe (vgl. Kap. 1.2). Diese Berichte sollen über Zielerreichungen, die aktuelle Situation und mögliche weitere Schritte Auskunft geben und dienen als Grundlage für die Fortschreibung der Hilfepläne und die Weitergewährung der Hilfe – sie werden im Folgenden „Zielerreichungsdokumentationen“ genannt. Die Dokumentationen sollten auf der Basis einer Checkliste erstellt werden, die einerseits das Schreiben erleichtert und andererseits sicherstellt, dass alle notwendigen Informationen zur Weiterführung der Hilfe vorliegen. Es können daher zumindest einige der in der Checkliste in Anlage 1 genannten Dimensionen in verkürzter Form in die Zielerreichungsdokumentation übernommen werden. Es wird davon ausgegangen, dass den unten aufgeführten Kategorien Ziele zugrunde liegen, über deren Erreichung berichtet werden kann. Einen Vorschlag über Gliederung und Themen der Zielerreichungsdokumentation enthält die Anlage 2 zu diesem Kapitel.

5.4 Schutzauftrag des Jugendamtes nach § 37 Abs. 3 SGB VIII und Risikoeinschätzung im Bereich des § 8a SGB VIII

Durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) wurde der Schutz des Kindeswohls durch den § 8a SGB VIII gestärkt. Öffentliche und freie Träger der Jugendhilfe werden beauftragt, diesem Bereich besondere Aufmerksamkeit zu widmen und entsprechende Verfahren zu entwickeln. Dies gilt auch für den Pflegekinderdienst, da es auch im Kontext einer Familienpflege zu einer Kindeswohlgefährdung kommen kann. Hier sind spezielle Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung zu beachten, um entsprechende Anzeichen und Beobachtungen bewerten zu können.

5.4.1    Kinderschutz in der Pflegekinderhilfe

Ein fachlich fundiertes Arbeiten in der Pflegekinderhilfe ist ein Garant für den Kinderschutz.[1] Dieser Satz fasst die Erkenntnisse zusammen, die aus der Forschung zum Kinderschutz in Pflegefamilien hervorgegangen sind. Danach ruht der Kinderschutz auf sechs Säulen, deren Zusammenspiel eine präventive Schutzfunktion besitzt: die Auswahl und Vorbereitung der Pflegeeltern, die Begleitung und Beratung der Pflegeeltern, die Begleitung der Kinder, die Einbindung der Herkunftsfamilie, die Rolle des Vormundes und die Zusammenarbeit und Kooperation aller Beteiligten. Dies gilt für Fremdpflegen, und in viel strengerem Maß für Verwandtenpflegen. Unter diesem Aspekt ist die Umsetzung der hier niedergelegten Konzeption der Arbeit des Pflegekinderdienstes (die Vorbereitung von Bewerberinnen und Bewerbern und prozessbegleitende Qualifizierungsmaßnahmen für Pflegeeltern in Kap. 9, die Gestaltung des Hilfeprozesses in der Begleitung des Pflegeverhältnisses in Kap. 7, die Rolle des Vormundes und die Zusammenarbeit und Kooperation aller Beteiligten in Kap. 2) gleichzeitig eine Arbeit am Kinderschutz in Pflegefamilien – wobei diese Arbeit an eine entsprechende Ressourcenausstattung gekoppelt sein muss, wie sie in Kap. 4 beschrieben wird.

Durch die Prüfung der Eignung der Pflegepersonen, ihre Vorbereitung auf die Tätigkeit und die Begleitung des Pflegeverhältnisses erwächst für den Pflegekinderdienst hier eine besondere Verantwortung. Es existiert ein „Vertrauensvorschuss“, dass Krisen innerhalb der Familie mit der Unterstützung des Pflegekinderdienstes bewältigt werden können und es nicht unmittelbar zu einer Herausnahme kommt, wenn sich Probleme andeuten. Es ist in diesem Zusammenhang nicht einfach, die Pflegefamilie mit der Sorge zu konfrontieren, dass es sich bei den bei ihnen beobachteten Problemen möglicherweise um eine Kindeswohlgefährdung handelt. Es ist wichtig, der Pflegefamilie zu vermitteln, dass es sich bei der näheren Betrachtung der Situation um eine Hilfe für die Familie – und damit für das Kind – handelt und dass dabei die Unterstützung und Kooperation der Pflegepersonen sehr wichtig ist.

„Der Auftrag der Fachkräfte in der Familie ändert sich mit der Gefährdungseinschätzung. Die gemeinsame Einschätzung ist etwas grundlegend Anderes als die Beratung und Begleitung der Pflegeeltern. In der Gefährdungseinschätzung ist der Aspekt der Bewertung vordergründig, d. h. gemeinsam werden die Anhaltspunkte daraufhin bewertet, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder nicht. (…) Auch wenn die Aufgabe der Einschätzung hinzukommt, bleibt der Auftrag, die Familie zu begleiten, bestehen. Die Beziehung zu den Pflegeeltern soll keineswegs aufgegeben werden, aber sie ändert sich. Die Fachkräfte benötigen in dieser Situation mehr Distanz zu den Pflegeeltern und müssen sich aus den Verstrickungen und Konflikten in der Familie lösen. An erster Stelle steht jetzt, das Kind zu schützen und die Eltern zu gewinnen, dass sie daran mitarbeiten, die Gefährdung abzuweisen und eine Erziehung zum Wohl des Kindes zu gewährleisten. Das Bündnis der Zusammenarbeit darf sich nicht aufheben.“[2]

Jedoch führt die mögliche „Verstrickung“ der Fachkraft in die Dynamik der Pflegefamilie dazu, dass in einer zugespitzten Situation die notwendige Distanz eben nicht mehr gegeben ist bzw. die „Gefährlichkeit“ des Problems nicht erkannt werden kann. Es ist daher in Fällen einer vermuteten Kindeswohlgefährdung in jedem Fall für die Bewertung eine weitere Fachkraft hinzuzuziehen und eine kollegiale Beratung zu organisieren. Eingebunden werden muss eine „insofern erfahrene“ Kinderschutzfachkraft – soweit diese Kompetenzen nicht im Pflegekinderdienst vorhanden sind.

Der kontinuierlichen Begleitung des Pflegeverhältnisses kommt hier eine besondere Bedeutung zu, da sukzessiv sich verschlechternde Lebensbedingungen des Pflegekindes erkannt werden müssen und das eigene Handeln und Verhalten kontinuierlich kritisch reflektiert werden muss. Die kollegiale Beratung im Team ist daher unumgänglich.

Da es sich hier um Kinderschutz und nicht um Schutz der Pflegefamilie handelt, muss der Blick der Fachkraft sich allerdings in erster Linie auf das Kind richten. Die Unterstützung der Pflegefamilie geschieht aus kindbezogenen Gründen – diese sind ausschlaggebend für die Bewertungen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen. Hier ist in jedem Fall die Geschichte des Kindes in die Entscheidungen einzubeziehen: Welche Bindungserfahrungen hat es gemacht? Welche Abbrüche hat es erlebt? Welche Vorerfahrungen hat es?

Insgesamt muss der Prozess der Prüfung und Bewertung und der daraus folgenden Konsequenzen den Pflegeeltern und dem Pflegekind so transparent wie möglich vermittelt werden.

Die Ausführungen, die sich im Wesentlichen an der Fremdpflege orientieren, haben vor allen Dingen auch Gültigkeit in der Verwandtenpflege. Allerdings unterliegen sie hier schwierigeren Bedingungen, die sich zum Ersten daraus ergeben, dass die Initiierung des Pflegeverhältnisses nicht immer durch den Pflegekinderdienst erfolgt, und zum Zweiten, dass die verwandtschaftliche Verbindung und die Nähe zu den leiblichen Eltern zu einer völlig anderen Familiendynamik führt. Die Skala der Beobachtung von Anzeichen einer möglichen Kindeswohlgefährdung muss hier feiner eingestellt werden, da davon auszugehen ist, dass die Herausforderungen des Kinderschutzes bei Verwandtenpflegen höher sind. Nicht zuletzt ist eine eigene Pflegeart für diesen Bereich entwickelt worden (siehe Kap. 1.3).

Durch die gute Kenntnis der Pflegeeltern, deren Familien- und Sozialsystem und das Wissen um die Probleme der Pflegekinder sollten im Zuge einer Begleitung des Pflegeverhältnisses sich abzeichnende Schwierigkeiten rechtzeitig erkannt werden. Gleichwohl ist es im Falle von Erkenntnissen, die möglicherweise den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung aufkommen lassen, notwendig, klar geregelte Verfahrensschritte durchzuführen, um den Verdacht zu erhärten oder zu entkräften.

5.4.2    Gefährdungseinschätzungen

Bewertungsleitend bei der Betrachtung der Risiken sollte auf jeden Fall immer die kontinuitätssichernde Planung für die Pflegekinder sein. Das bedeutet auch, nicht nur den Moment zu betrachten, sondern auch das „Davor“ und das „Danach“ in den Blick zu nehmen: Wie sah das Leben des Pflegekindes vor einer möglichen Entscheidung aus, wie geht es nach einer Entscheidung weiter, und was bedeutet das für das Pflegekind? Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Pflegekindes müssen als Gesamtzusammenhang gesehen und zur Grundlage der Bewertung werden.

Unter diesem Leitgedanken sind Gefährdungsrisiken zu betrachten, die in der Pflegekinderhilfe an unterschiedlichen Stellen auftreten können: in den Pflegefamilien selbst, bei ungeplanten Rückführungen in die Herkunftsfamilie und bei Umgangskontakten zu den Herkunftseltern oder anderen verwandten Personen. Einige Risiken bzw. Problemlagen sollen hier – ergänzend zu den entsprechenden Kapiteln – genannt werden.

5.4.2.1   Gefährdungseinschätzungen in Pflegefamilien

Auch wenn die Pflegefamilien im ständigen Blick des Pflegekinderdienstes sind, so sind Gefährdungslagen, die eine Risikoeinschätzung verlangen, nicht auszuschließen. Hier gilt es, diese Situationen zu beobachten und ggf. auf ihren Risikogehalt zu überprüfen.

Fragen zur Einschätzung von spezifischen Gefährdungsrisiken im Bereich des Pflegekinderwesens können sein:

  •   Zeigen sich von der Herkunftsfamilie, den Pflegeeltern oder Dritten geschürte Loyalitätskonflikte?
  •  Sind Formen der Abwertung der Herkunftsfamilie durch die Pflegefamilie erkennbar?
  •   Existieren überzogene Dankbarkeitserwartungen der Pflegefamilie an das Kind?
  •   Können unangemessene pädagogische Handlungen der Pflegeeltern beobachtet werden?
  •   Existieren eskalierende Konflikte zwischen (insbesondere) älteren Pflegekindern und ihren Pflegeeltern?
  •   Gibt es aggressive oder psychisch verletzende Auseinandersetzungen zwischen dem Pflegekind und Pflegegeschwistern bzw. leiblichen Kindern der Pflegeeltern?

Um dem Verdacht auf Gefährdungsrisiken nachzugehen, können dafür ausgelegte Verfahren bzw. Materialien verwendet werden. Ein Beispiel für einen Bogen zur Risikoeinschätzung in Pflegefamilien ist dem Anhang zum Kapitel 5 angefügt. Darüber hinaus sind hier die Kriterien zu beachten, die zur Eignung von Bewerberinnen und Bewerbern für alle Pflegeformen herangezogen werden müssen (vgl. Kap. 9.2.3).

5.4.2.2   Gefährdungseinschätzungen bei Rückführungen

Insgesamt sind Rückführungen mit einem Risiko verbunden, welches durch die Arbeit des PKD bewertet werden muss. Dies gilt verstärkt für Rückführungen, die nicht von vornherein geplant waren. Fragen, die zur Prüfung der Voraussetzung für eine Rückkehr in die Herkunftsfamilien bzw. zur Bewertung des Risikos gestellt werden, können dabei sein:[3]

  •   Verweigern die Eltern die Fürsorgeübernahme für das Kind?
  •   Werden wiederholt elterliche Ambivalenzen in Bezug auf die Elternrolle sichtbar?
  •   Äußert ein Elternteil wiederholt, die Elternverantwortung abgeben zu wollen?
  •   Existiert ein nur unbeständiger Kontakt zum Kind?
  •   Gehen unmittelbare Gefährdungen von den Bezugspersonen für das Kind aus?
  •   Wuchs ein Elternteil in öffentlicher Erziehung auf?
  •   Ist ein Elternteil jünger als 16 Jahre und wurden Hilfen im Rahmen einer gemeinsamen Unterbringung vom Elternteil nicht genutzt?
  •   Ist ein Elternteil durch Kriminalität und Inhaftierung aufgefallen?
  •   Liegen schwere psychische Erkrankungen eines Elternteils ohne bisherigen oder derzeitigen Behandlungserfolg vor?
  •   Liegt eine Substanzmittelabhängigkeit vor oder wurden Substanzmittel während der Schwangerschaft gebraucht?
  •   Liegt eine degenerative oder tödliche Erkrankung eines Elternteils vor?
  •   Sind die Eltern nur eingeschränkt erziehungsfähig und kann dies nicht durch ein entsprechendes Umfeld kompensiert werden?
  •   Gehen vom Lebensstil und vom sozialen Umfeld Kindeswohlgefährdungen aus?
  •   Wird der Lebensunterhalt ausschließlich in Illegalität oder über Kriminalität erworben?
  •   Lagen/liegen schwerwiegende körperliche Misshandlungen, Vernachlässigungen oder sexueller Missbrauch des Kindes / von Geschwistern durch einen Elternteil vor?
  •   Ist das Kind Opfer von mehr als einer Misshandlungsform?
  •   Gab es in der Vergangenheit bereits eine Fremdplatzierung des Kindes oder eines Geschwisters?
  •   Haben die Kinder besondere erzieherische Bedarfe?
  •   Ist eine vergangene Rückführung schon einmal gescheitert?
  •   Ist häusliche Gewalt dokumentiert?
  •   Sind intergenerationale Transmissionen von Misshandlungsformen ohne Veränderung der zugrundeliegenden Familiendynamiken dokumentiert?
  •   Konnte durch vorangegangene öffentliche Hilfen und/oder therapeutische Behandlungen die Herausnahme des Kindes nicht verhindert werden?
  •   Liegt eine vorangegangene Kinderschutzintervention für dieses Kind oder für seine Geschwister, inklusive Fremdunterbringungen, die länger als sechs Monate dauerten, vor?

Nähere Erläuterungen zu geplanten und ungeplanten Rückführungen finden sich in den Kapiteln 8.1.1 und 8.2.

5.4.2.3   Gefährdungseinschätzungen bei Umgangskontakten

Auch Umgangskontakte bergen Risiken, die durch den Pflegekinderdienst eingeschätzt werden müssen, um Kindeswohlgefährdungen zu vermeiden. Fragen zur Prüfung einer möglichen Gefährdung der Kinder bzw. Jugendlichen bei Umgangskontakten können sein:[4]

  •  Wurde das Kind von seinem Elternteil sexuell oder seelisch-körperlich schwer misshandelt?
  •  Besteht die Gefahr von Retraumatisierung?
  •   Zeigen die Herkunftseltern unangemessenes Verhalten (z. B. fehlende Impulskontrolle, Drogengebrauch)?
  •   Wird das Kind im Kontakt instrumentalisiert?

Darüber hinaus existieren weitere Risiken, die einer Bewertung unterzogen werden sollten:[5]

  •   Vor der Unterbringung des Kindes wurden die Pflegeeltern nur mangelhaft über die bisherige Entwicklung des Kindes und über die bisherigen Erziehungseinflüsse informiert. Insbesondere die Frage, wer für das Kind eine positive oder negative Bedeutung hatte, ist hier von großer Bedeutung.
  •   Ein Hilfeplan vor der Unterbringung des Kindes in der Pflegefamilie fehlt oder es fehlen im Hilfeplan Aussagen darüber, was sich in welchem Zeitraum bei den Herkunftseltern in welcher Weise verändern muss, damit das Kind zu ihnen zurückkehren kann. Das Alter der Kinder, die Vorerfahrungen und der jeweilige Entwicklungsstand müssen dabei sorgfältig beachtet werden.
  •  Die Ängste des Kindes werden nicht erkannt und nicht benannt.
  •   Die Besuche dienen der „sanften Umgewöhnung“ des Kindes mit dem Ziel der gegen den Willen des Kindes angestrebten Rückführung zu den Herkunftseltern.
  •   Bei Einrichtung des Pflegeverhältnisses hat keine sorgfältige Perspektivklärung statt­gefunden und es existieren unterschiedliche Vorstellungen über den Verbleib des Kindes.

Nähere Erläuterungen zu Umgangskontakten finden sich im Kapitel 7.3.3.

5.4.2.4   Verfahren bei Gefährdungsrisiken

Es wird hier davon ausgegangen, dass in den Jugendämtern Dienstanweisungen und ver­bindliche Verfahren für den § 8a SGB VIII existieren, die es den Fachkräften erlauben, eine Kindeswohlgefährdung festzustellen und entsprechende Schritte einzuleiten. Es wird daher in diesen Empfehlungen auf eine Beschreibung von entsprechenden Vorgehensweisen verzichtet. Hier müssen die örtlich gültigen Vorgehens- und Bewertungsverfahren beachtet und entsprechend umgesetzt werden. Es wird davon ausgegangen, dass die örtlich entwickelten Verfahren in den Jugendämtern auf die Spezifika der Pflegekinderhilfe abgestimmt sind.



[1]    Althoff, M.; Hilke, M. (2016): Kinderschutz in der Pflegekinderhilfe. Bedeutung und Herausforderungen für die Fremdpflege und Verwandtenpflege. S. 117.

[2]    Vgl. ebenda S. 38 f.

[3]    Vgl. Diouani-Streek, M. (2015): Kontinuität im Kinderschutz – Perspektivplanung für Pflegekinder. Rheinbreitenbach. S. 214 f.

[4]    Vgl. Wiemann, I. (2008): Kontakte von Pflegekindern zur Herkunftsfamilie. Als Online-Ressource:

     http://www.irmelawiemann.de/dl/dl.pdfa?download=Kontakte-Herkunft-belastend-Wiemann.pdf (zuletzt aufgerufen am 11.11.2015)

[5]    Vgl. Zwernemann, P. (2014): Pflegekinderhilfe/Adoption in Theorie und Praxis. Rheinbreitbach. S. 249


[1]    Gegebenenfalls sollte dies elektronisch unterstützt erfolgen.