7. Gestaltung des Hilfeprozesses in der Begleitung des Pflegeverhältnisses



Unabhängig davon, ob ein Pflegeverhältnis auf einen befristeten Zeitraum oder auf Dauer angelegt ist, und (relativ) unabhängig davon, um welche Pflegeform es sich handelt, bedürfen alle Beteiligten an einem Pflegeverhältnis der fachlichen Beratung und der Unterstützung. Hiernach verlangt der besondere Charakter von Pflegeverhältnissen als „künstlich“ geschaffenes und damit auch immer besonders störungsanfälliges Arrangement zwischen Personen mit einem unterschiedlichen sozialen und biografischen Hintergrund und häufig nicht deckungsgleichen gegenseitigen Erwartungen. Das Gesamt von Beratungs- und Unterstützungsaufgaben sollte deshalb darauf gerichtet sein, allen Beteiligten unter Berücksichtigung von Wechselwirkungen eine gelingende Anpassung an die Situation zu ermöglichen. Pflegekinderdienste sollten also immer das gesamte Arrangement in den Blick nehmen, was aber auch voraussetzt, die Bedürfnisse, Kompetenzen, Entwicklungsbedarfe, Stärken und Schwächen der einzelnen Beteiligten zu würdigen. Dem entspricht der Aufbau dieses Kapitels, indem es einerseits den Beratungs- und Unterstützungsbedarf für Pflegekinder, Herkunftseltern und Pflegeeltern gesondert diskutiert, zum anderen aber auch immer die Wechselwirkungen zwischen den Beteiligten berücksichtigt.

Gerade dieses Kapitel wird nicht die einhellige Zustimmung aller Leserinnen und Leser finden, ist die Gesamtthematik doch eng mit den divergierenden Grundorientierungen im Pflegekinderbereich – der Kontroverse um das Ersatz- und das Ergänzungsfamilienkonzept – verbunden. Die Anregungen zur Ausgestaltung der Beratungsarbeit sind in dem Bemühen entstanden, dieser Kontroverse gegenüber einen neutralen Standpunkt einzunehmen. Sie wurden unter der Prämisse formuliert, dass das Kindeswohl letztentscheidend ist und dass dessen Gewährleistung nach situations- und kontextabhängigen Prämissen immer neu zu definieren ist.

Als Randbemerkung noch: Es gab in der Arbeitsgruppe eine längere Diskussion um die Benennung dessen, was zwischen der Herkunftsfamilie und dem Pflegekind / den Pflegeeltern in einem laufenden Pflegeverhältnis zu gestalten ist. Zur Diskussion standen die Begriffe „Umgangskontakte“ und „Besuchskontakte“. Da das eine zu sehr an gesetzlichen Regelungen im Kontext von Sorgerechtsregelungen in Trennungs- und Scheidungsfamilien orientiert erschien und das andere der Komplexität des Geschehens zu wenig angemessen, hat sich die Arbeitsgruppe für den neutralen und unvorbelasteten Begriff „persönliche Kontakte“ (zwischen Angehörigen der Herkunftsfamilie, dem Pflegekind und den Pflegeeltern) entschieden.

7.1 Die Arbeit mit dem Pflegekind

Die Arbeit mit dem Pflegekind ist in der Praxis der Pflegekinderdienste häufig ein vernachlässigter Arbeitsbereich. Wesentliche Gründe hierfür sind:

  • Pflegekinder treten den Fachkräften in spezifischen Situationen als Einzelperson gegenüber. Man begegnet ihnen in der Regel bei Hausbesuchen, in der Vorbereitung zur Vermittlung und ggf. bei besonderen Ereignissen wie     Sommerfesten, und hier als Teil der Pflegefamilie. In solchen Situationen lässt sich keine eigenständige Beziehung zum Pflegekind aufbauen.

  • Pflegekinder werden auch konzeptionell primär als Teil der Pflegefamilie wahrgenommen; nicht ohne Recht wird die Erziehung des Pflegekindes als Aufgabe der Pflegeeltern betrachtet. Die Beratung der Pflegeeltern wird deshalb als indirekter Beitrag zur Sicherung einer problemangemessenen Erziehung des Kindes betrachtet.

  • Auch Pflegekinder betrachten die Fachkräfte des Jugendamtes – die fallverantwortlichen Fachkräfte im ASD, die Fachkräfte des Pflegekinderdienstes und ggf. einen Amtsvormund/-pfleger – nicht als bedeutsam für ihre Anliegen. Wünsche an das Jugendhilfesystem werden an die Pflegepersonen zur Weiterleitung an die Fachkräfte delegiert.

a)  Zur Notwendigkeit einer eigenständigen Arbeit mit dem Pflegekind

Unabhängig davon, wie gut ein Pflegekind (bereits) in seine Pflegefamilie integriert ist: Pflegekinder nehmen aus strukturellen Gründen immer eine Sonderrolle in der Familie ein.

  • Sie sind Familienmitglieder, denen jederzeit „gekündigt“ werden kann, die die Zugehörigkeit zu dieser Familie selbst aufkündigen können oder denen Dritte die Berechtigung zum Verbleib in der Familie absprechen können.

  • Pflegekinder wissen davon, dass die Pflegeeltern für ihre Betreuung Geld bekommen und dass sie bzw. die Pflegeeltern im besonderen Blickpunkt des Jugendamtes sind.

  • Pflegekinder haben ein feines Gespür dafür, dass ihre Rolle in der Familie eine andere ist als die der eigenen Kinder der Familie und dass die Pflegeeltern sich im Zweifelsfall für die eigenen Kinder entscheiden werden.

  •  Pflegekinder haben zwei Familien. Sie wissen oder ahnen zumindest, dass die Herkunftsfamilie mit ihrer Biografie eng verbunden ist und eines Tages wieder bedeutsam für sie sein wird. Sie haben die Möglichkeit, ihre beiden Familien zu vergleichen und ggf. gegeneinander „auszuspielen“. In vielen Fällen erleben sie die zwischen den beiden Familien bestehenden Spannungen.

  • Pflegekinder werden von der Umwelt – Klassenkameraden, Lehrern, Nachbarn, den Verwandten der Pflegefamilie – als das wahrgenommen, was sie tatsächlich sind, eben als Pflegekind, als Kind „ohne richtige Eltern“. Auch da, wo sie dies zu verheimlichen suchen, kann die Täuschung jederzeit „auffliegen“. Sie sind in der Sprache der Stigma-Theorie „diskreditierbar“.

Mit dem Wissen um diese Besonderheiten müssen sowohl die Pflegekinder als auch die Angehörigen der Pflegefamilie umgehen. Dies ist nicht immer spannungsfrei zu haben. Pflegekinder können sich in einem Loyalitätskonflikt den Pflegeeltern gegenüber befinden, was bedeutet, dass bestimmte Problembereiche ihnen gegenüber nicht kommunizierbar sind. Auch Pflegeeltern können sich vor Situationen, Gedanken und Gefühle gestellt sehen, die offene Kommunikation unmöglich oder jedenfalls besonders schwer machen: die Unzufriedenheit mit der Entwicklung des Kindes, enttäuschte Erwartungen, Gedanken über die Beendigung des Pflegeverhältnisses, Spannungen zu den Eltern des Kindes usw. Eine Problemlösung über die Pflegeeltern ist in solchen Situationen nicht möglich. Um Nicht-Kommunizierbares kommunizierbar zu machen, bedarf es einer eigenständigen Arbeit mit dem Pflegekind.

b) Themenbereiche in der Arbeit mit Pflegekindern

Die für die Arbeit mit dem Pflegekind relevanten Themenbereiche ergeben sich aus diesen Besonderheiten. Es geht ...

...  um die Auseinandersetzung mit dem Status „Pflegekind“ und die sich aus ihm ergebenden Konsequenzen für Interaktion, Selbstbild und Identitätsbildung,

...  um die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und ihre Integration in das Selbstbild, um die Verknüpfung mit der Gegenwart und die Bewahrung von Kontinuität auch in die Zukunft hinein,

...  um die Bearbeitung von Loyalitätskonflikten und die Entwicklung eines geklärten Verhältnisses zu den „zwei Familien“,

...  um die Auseinandersetzung mit Alltagsproblemen, mit akuten Konflikten, Ambivalenzen, und Zukunftsängsten.

c)  Zugangswege zum Pflegekind und methodische Anregungen

Zugangswege zum Pflegekind eröffnen sich über „Auszeiten“ mit dem Kind allein anlässlich von Hausbesuchen, aus Anlässen besonderer Veranstaltungen, ggf. bei begleiteten Besuchskontakten und über gesonderte Verabredungen mit älteren Pflegekindern/Ju­gendlichen. Voraussetzung für die Einzelarbeit ist der Aufbau eines hinreichenden Vertrauensverhältnisses zu dem Kind/Jugendlichen. Spielerische Aktivitäten mit kleineren Kindern ohne die Pflegeeltern und gesonderte Verabredungen mit älteren Kindern und Jugendlichen außerhalb der Pflegefamilie und nach Möglichkeit außerhalb von Büroräumen erleichtern den Zugang und die Öffnung des Kindes gegenüber zunächst fremden „Amtspersonen“. Auf Wunsch des Kindes/Jugendlichen muss Vertraulichkeit zugesichert bzw. die „Genehmigung“ der Weitergabe von Informationen an die Pflegepersonen oder sonstige Dritte eingeholt werden.

Themenbereiche für die Arbeit mit Pflegekindern im direkten Einzelkontakt sollten sich auf Problembereiche konzentrieren, die das Kind vor und mit den Pflegeeltern (zunächst) nicht kommunizieren kann. Welche dies sind, lässt sich am besten über die Teilnahme am Interaktionsgeschehen innerhalb der Pflegefamilie – z. B. anlässlich von Hausbesuchen – herausfinden. Gibt es Themen, die ausgeklammert werden? Schrecken Pflegekinder und/ oder Pflegeeltern vor der Besprechung bestimmter Themenbereiche zurück? Sind Interaktionsstörungen sichtbar? Aber auch: berichten die Pflegeeltern oder ggf. auch das Kind direkt über solche Probleme? Besondere Beachtung sollten Anzeichen von Loyalitätskonflikten, von Unsicherheiten des Kindes über seine Rolle in der Familie, insbesondere auch über seine Position gegenüber eigenen Kindern der Familie, sowie Anzeichen von Unsicherheiten über den Status „Pflegekind“ in den Umweltbeziehungen und über den Verbleib in der Pflegefamilie finden.

Ein wichtiger Zugangsweg zum Kind ist auch seine Beteiligung an der Vorbereitung der Hilfeplanfortschreibung. Sie bietet einen „offiziellen“ Anlass zur Befragung des Kindes/Ju­gendlichen, zu Nachfragen nach seinen Gefühlen und seiner Befindlichkeit, seiner Position der Herkunftsfamilie gegenüber und zu den Besuchskontakten sowie über seine Zukunftsplanung. Darüber hinaus ermöglicht die Beteiligung, das Kind mit dem öffentlichen Auftrag des Jugendamtes vertraut zu machen und darüber den besonderen Status von Pflegekindern zu thematisieren.

Soweit hierfür Bereitschaft bei Pflegekindern und Pflegeeltern vorhanden, wird die Arbeit im Interesse des Pflegekindes in vielen Fällen auch in gemeinsamen Gesprächen mit den Pflegepersonen und ggf. den eigenen Kindern und anderen relevanten Familienangehörigen stattfinden können und müssen. Solche Gespräche sind zur Konfliktmoderation erforderlich, für die Zukunftsplanung eines Kindes, auch z. B. hinsichtlich weiterer Beschulung und für die Auseinandersetzung um persönliche Kontakte zu den Eltern.

Neben der direkten Kommunikation mit dem Pflegekind und gemeinsamen Gesprächen mit den Pflegeeltern kommen auch indirekte Formen infrage:

  • die Pflegeeltern können zum Themenbereich „Biografiearbeit“ geschult bzw. im Umgang mit einem „Erinnerungs-“ oder „Lebensbuch“ angeleitet werden (Hinweise enthält das systematische Literaturverzeichnis im Anhang 2),

  • von Bedeutung können Interventionen im Interesse des Kindes, z. B. in der Schule, werden, wenn es um die „Diskriminierung“ des Kindes seines Status wegen geht (vgl. Kap. 6.4).

Schließlich kann zur Arbeit mit dem Pflegekind die Organisation eines Zugangs des Kindes/Jugendlichen zu Unterstützung durch Dritte gehören: Besprechungen und Informationen über Therapieeinrichtungen und deren Arbeitsweisen, ggf. Vermittlung in eine Pflegekindergruppe, ggf. auch in eine Gruppe für trauernde Kinder, eine Gruppe für sexuell missbrauchte Kinder oder eine Selbsthilfegruppe anderer Art. Die Auseinandersetzung des Pflegekindes mit seiner besonderen Situation fördert auch die Anregung an die Pflegeeltern, den Kontakt zu anderen Pflegefamilien zu suchen und zu pflegen. Zu erleben, dass man nicht das „einzige Pflegekind der Welt“ ist, sich mit anderen Pflegekindern über seine Erfahrungen und Gefühle auszutauschen und das Familienleben in einer anderen Pflegefamilie zu erleben, kann ein bedeutsames Mittel der Selbstvergewisserung und der individuellen Problembearbeitung sein. In Einzelfällen kann es darüber hinaus bedeutsam sein, dem Pflegekind einen Zugang zu einer außerfamiliären Vertrauensperson zu eröffnen, der „geliebten“ Erzieherin im Kindergarten, einem Lehrer in der Schule, einem Angehörigen des früheren Verwandtschaftssystems zum Beispiel.

d) Voraussetzungen für die Arbeit mit Pflegekindern

Die wichtigste Voraussetzung ist, dass ein eigenständiger Zugang zum Pflegekind als notwendiger Bestandteil der Arbeit betrachtet und im Zeitdeputat der Fachkräfte berücksichtigt wird (vgl. Kap. 4.4). Je weniger Zeit dafür zur Verfügung steht, umso bedeutsamer werden die indirekten Formen zur Förderung einer Selbstvergewisserung der Kinder.

Eine zweite Voraussetzung ist die Schulung der Fachkräfte für die direkte Kommunikation mit Kindern/Jugendlichen bzw. der Erfahrungsaustausch unter den Fachkräften zu diesem Themenbereich.

7.2 Die Arbeit mit den Pflegeeltern

a)  Arbeitsbereiche und Arbeitsphasen

Die Arbeit mit den Pflegeeltern im laufenden Pflegeverhältnis ist eine weitere originäre Aufgabe des Pflegekinderdienstes. Sie erstreckt sich auf ...

...  die Information der Pflegeeltern über das je aktuelle Wissen der Fachkräfte über die Vorgeschichte des Kindes und seine früheren Umfeldbeziehungen sowie über besondere Ereignisse in der Herkunftsfamilie, soweit für die Gestaltung der Pflegeeltern-Pflegekind-Beziehung von Bedeutung,

...  die Beratung der Pflegeeltern in pädagogischen Fragen, insbesondere auch im Umgang mit „Verhaltensstörungen“ und anderen ungewöhnlichen Verhaltensweisen des Pflegekindes,

...  die Beratung der Pflegeeltern in Fragen der Umfeldgestaltung für das Kind, z. B. Beschulung, Berufsvorbereitung, Freizeitaktivitäten, besondere Unterstützungsformen für Pflegekinder,

...  die Beratung bzw. das „Management“ von notwendigen zusätzlichen Hilfen für das Kind, z. B. Diagnose- und Therapieeinrichtungen, medizinische Versorgung,

...  die Unterstützung der Pflegeeltern bei der Gestaltung von Umgangskontakten des Kindes mit der Herkunftsfamilie,

...  die Anregung und ggf. die unterstützende Organisation von Selbsthilfeaktivitäten der Pflegeeltern und die Arbeit mit Pflegeeltern in Pflegeelterngruppen,

...  die emotionale und ggf. institutionelle Unterstützung der Pflegeeltern in Krisensituationen und in Situationen von Überforderung, Unsicherheit und Verzweiflung,

...  die Unterstützung der Pflegeeltern in Fragen des Arrangements ihrer Behördenkontakte (Anträge, Pflegegeld- und Versicherungsfragen, Hilfeplanung),

...  die Beratung in Fragen der Beendigung des Pflegeverhältnisses (hierzu Kap. 3.5).

Die Schwerpunkte der Beratungsarbeit und des „Unterstützungsmanagements“ variieren je nach Phase des Pflegeverhältnisses, Entwicklungsalter des Pflegekindes und den ihm im jeweiligen Entwicklungsalter gestellten Aufgaben sowie nach der besonderen Situation in der Pflegefamilie. Für die zeitliche und konzeptionelle Planung empfiehlt sich die Unterscheidung nach sechs Verlaufsphasen sowie vier Entwicklungsphasen der Kinder:

- Verlaufsphasen:

›   Eingangsphase (die ersten Wochen)

›   Durststrecke (das Kind testet die Verlässlichkeit der Beziehung und zeigt seine „Ecken und Kanten“, verweigert Anpassungsleistungen (ca. sechs Monate)

›   Stabilisierungs- und Normalisierungsphase (die ersten zwei Jahre)

›   Phase des eingespielten Pflegeverhältnisses (die Folgejahre)

›   Kritische Phasen mit Destabilisierungsrisiken

›   Beendigungsphase (hierzu Kap. 3.5)

- Entwicklungsphasen:

›   Säuglings- und Kleinkindalter

›   Vorschulzeit, Kindergarten

›   Frühe und mittlere Schulzeit (psychologisch: Latenzphase)

›   Pubertät und Jugendalter

Im Folgenden wird insbesondere auf die Verlaufsphasen eingegangen, die verschiedenen Entwicklungsphasen des Kindes bilden den Hintergrund für Konkretisierungen für den Beratungsprozess.

b) Arbeitsaufgaben in den verschiedenen Phasen

Die Eingangsphase:

Eingangsphasen sind in der Regel „Honeymoon-Phasen“. Pflegeeltern und Pflegekinder sind darum bemüht, sich aufeinander einzustellen; sie zeigen sich von „ihrer besten Seite“, sehen optimistisch in die Zukunft und sind bereit, kleinere Irritationen als vorübergehende Erscheinungen zu werten. Für Fachdienste ist dies eine gute Möglichkeit, die Freude der Beteiligten zu teilen und darüber Vertrauen aufzubauen, aber auch die Chance, die ersten Irritationen zu beobachten und sie für den künftigen Hilfeprozess in den Blick zu nehmen. Von Bedeutung für diese Phase ist zudem die „Nachlieferung“ von Informationen zur Vorgeschichte des Kindes, soweit erst nach der Inpflegegabe bekannt geworden, und die Einbeziehung der Pflegeeltern in Unterstützungsnetze, z. B. eine Pflegeelterngruppe (vgl. Kap. 9.2.4).

Kontaktformen in dieser Phase sind ein Hausbesuch, telefonische Nachfragen zum „Ergehen“ und Angebote an die Pflegepersonen, sich bei Nachfragen an den Fachdienst zu wenden (wobei auch Fragen der Erreichbarkeit geklärt werden sollten). Ferner fallen in diese Zeit umfangreiche Verwaltungsaufgaben (Bescheiderteilungen, Einwilligungserklärungen usw.).

Die Integrations- und Stabilisierungsphase:

In den ersten beiden Jahren (mit individueller zeitlicher Variation) geht es darum, die sich nach und nach vollziehende Integration des Kindes zu begleiten, krisenhaften Entwicklungen vorzubeugen und Weichen für die längerfristige Perspektive zu stellen. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen dabei Weichenstellungen für die Gestaltung von Umgangskontakten, die Organisation von notwendigen (diagnostischen) Abklärungen und von therapeutischen Hilfen für das Kind (Frühförderung, physio-/ergotherapeutische, logopädische Unterstützung, Integrationsförderung in Kindertagesbetreuung, Einleitung von Spieltherapien und anderen Therapieformen) und von medizinischen Abklärungen. Einen anderen Schwerpunkt bildet die pädagogische Beratung der Pflegeeltern in Fragen von Entwicklungsproblemen des Kindes/Jugendlichen und ihre „Aufklärung“ über Hintergründe von Verhaltensauffälligkeiten. Schließlich sind in dieser Phase tragfähige Kontakte zu anderen pädagogischen Settings (insbesondere Kindertagesbetreuung oder Schule) aufzubauen, wozu auch Kontaktgespräche mit den beteiligten Institutionen gehören.

Ein zweiter Aufgabenbereich in dieser Phase ist die Beobachtung des Integrationsprozesses, wobei nicht nur die Integration des Kindes in die Familie, sondern auch die Anpassung des Familiensystems an das neue Familienmitglied in den Blick zu nehmen ist – Irritationen bei Pflegegeschwistern, Anpassung der Partnerbeziehung und der häuslichen Arbeitsteilung, Integration des pflegeelterlichen Verwandtschaftssystems, Auswirkungen der Inpflegenahme auf das Nachbarschaftssystem und andere Umweltbeziehungen der Pflegefamilie.

Von besonderer Bedeutung in dieser Phase ist schließlich, die Perspektive des Pflegeverhältnisses möglichst endgültig – auch hinsichtlich der rechtlichen Stellung – zu klären. Die Pflegeeltern sollten im Laufe der Phase Gewissheit über den weiteren Verlauf bekommen; die Gestaltung des Umgangs sollte verlässliche Regelungen gefunden haben und die Rahmenbedingungen für die weitere Begleitung des Pflegeverhältnisses, für Modalitäten der Antragstellung und -bearbeitung, die Beteiligung an der Hilfeplanung, die vom Fachdienst erwartete Kooperation und die vom Fachdienst erwartbare Unterstützung inklusive Unterstützung durch Außenstehende wie etwa Supervisoren sollten unmissverständlich geklärt worden sein.

Der umfassende Aufgabenkatalog in dieser Phase verlangt der Fachkraft einen zeitintensiven Arbeitseinsatz ab. Unumgänglich sind mehrfache Hausbesuche und regelmäßige Telefon- (ggf. auch Mail-)Kontakte sowie eine umfängliche „Hintergrundarbeit“ im Rahmen des „Unterstützungsmanagements“. Nicht nur zeitsparend, sondern auch hilfreich für Weichenstellungen für die selbst organisierte Kooperation von Pflegeeltern ist die Integration der Pflegeeltern in eine Pflegeeltern-, ggf. auch eine Supervisionsgruppe (vgl. Kap. 9.2.4).

Die Phase des eingespielten Pflegeverhältnisses:

Nach einer gelungenen Stabilisierungs- und Normalisierungsphase, verbunden mit dem Aufbau einer Vertrauensbeziehung zu den Pflegeeltern und verlässlichen Verabredungen über die Erreichbarkeit, kann und sollte sich der Fachdienst auf ein zeitlich weniger umfangreiches Arbeitspensum einstellen. Er kann dies, weil die Weichen gestellt sind, und er soll es, um der Pflegefamilie die Chance zu eröffnen, ein Familienleben ohne ständige öffentliche Aufsicht und die hiermit verbundenen Belastungen zu leben. Im Mittelpunkt der Arbeit sollte die Vorbereitung von Hilfeplanungen im gemeinsamen Gespräch mit den Pflegeeltern während eines Hausbesuchs stehen. Selbstverständlich müssen daneben die Fachkräfte – was durch Integration der Pflegeeltern in eine Pflegeelterngruppe wiederum erleichtert ist – dafür Sorge tragen, dass sich die Pflegeeltern mit Anliegen und Nöten jederzeit an sie wenden können; mit gelegentlichen Telefonaten zeigen die Fachkräfte ihrerseits, dass sie die Familie nicht „vergessen“ haben und an ihrem Wohl interessiert sind. Die entscheidende Aufmerksamkeitsrichtung des Fachdienstes sollte dabei die rechtzeitige Identifikation von destabilisierenden Momenten sein. Hierbei sind auch gelegentliche Rückfragen in der Kindertagesbetreuung und der Schule hilfreich. Die Pflegeeltern sind ferner verlässlich über bedeutsame Entwicklungen in der Herkunftsfamilie zu informieren sowie über Veränderungen im Amtsumfeld. Im Bedarfsfall sollten sie über Antragstellungen beraten werden. Eine aktive Einbeziehung der Pflegeeltern nicht nur in die Vorbereitung, sondern auch in die Durchführung der Hilfeplanung, bietet die besondere Chance für die Fachkraft, die Pflegeeltern von ihrer Wichtigkeit für Entscheidungsprozesse für das Kind zu überzeugen.

Kritische Phasen mit Destabilisierungsrisiken:

Kritische Phasen haben als häufigste Hintergründe neue Anpassungsprobleme des Pflegekindes, wie sie insbesondere mit dem Einsetzen der Pubertät und der Wiederbelebung alter Kindheitskonflikte sowie mit „Statuspassagen“ (Einschulung, Schulwechsel, Sitzenbleiben, Schulanschluss etc.) verbunden sind. Ferner spielen Veränderungen im pflegefamiliären System (Trennung der Pflegeeltern, Geburt eines eigenen Kindes, „Entlassung“ eines anderen Pflegekindes, Aufnahme eines weiteren Pflegekindes) und neue Entwicklungen im herkunftsfamiliären System (Abbruch oder Wiederaufnahme von persönlichen Kontakten, Ansprüche neuer Personen auf Umgang, ggf. auch besondere Ereignisse in der Herkunftsfamilie wie Umzug, Krankheit, Wiederheirat etc.) eine Rolle. Kritische Phasen können auch dadurch entstehen, dass Probleme der Kinder und Jugendlichen sich erst im Laufe der Betreuung zeigen und entsprechende Interventionen verlangen (z. B. sexueller Missbrauch in der Herkunftsfamilie), oder sie sind verbunden mit großen Verhaltensauffälligkeiten (Bettnässen, Schreiattacken, aggressiven Ausbrüchen etc.).

Je nach Art und Qualität des Problems ist in solchen Phasen eine oft sehr dichte Präsenz des Fachdienstes gefragt. Notwendig werden können Konfliktmoderationen in der Familie, Einzelgespräche mit den Pflegepersonen und dem Pflegekind, Neujustierungen für die Umgangskontakte, neue Weichenstellungen für die schulische Betreuung, ggf. Neu-Initiierung therapeutischer Unterstützung für das Pflegekind und die Organisation von Entlastungsmöglichkeiten für die Pflegepersonen.

Konflikte sind immer verbunden mit Enttäuschungserfahrungen, ggf. Hilflosigkeit, Resignation und Verzweiflung. Der Fachkraft verlangt dies vor allem eine Haltung von Neutralität und Distanz ab. Sie muss den Hintergrund eines Konflikts verstehen, Unterstützungsnotwendigkeiten identifizieren, sich an Interessenausgleich und einer einvernehmlichen Konfliktlösung interessiert zeigen. Ebenso ist allerdings auch zu beurteilen, ob die Familie mit Hilfe der Fachkraft und anderer institutioneller Unterstützung noch die Kraft aufbringen wird, dem Zusammenleben eine neue, wieder tragfähige Basis zu geben. Die Phase verlangt der Fachkraft insbesondere psychologisches Gespür, Moderationskompetenzen für Konflikte und Kreativität in der Planung neuer Unterstützungsmöglichkeiten ab.

Anregung von Selbsthilfe:

Quer zu den unterschiedlichen Aufgaben in den verschiedenen Phasen sollten es Fachkräfte als Aufgabe betrachten, die Selbsthilfepotenziale der Pflegeeltern anzuregen. Dies ist schon deshalb notwendig, weil das Zeitdeputat der Fachkräfte nie hinreichend ist, aber auch, weil sich in selbst organisierten, informellen Arrangements Probleme anders als in formellen Beratungssituationen besprechen lassen. Eine besondere Bedeutung kommt dem selbst organisierten und eigenverantworteten Erfahrungsaustausch unter Pflegefamilien und dem selbst organisierten wechselseitigen Unterstützungsnetz zwischen verschiedenen Familien zu. Fachkräfte können dies über Gruppenangebote für Pflegeeltern, die Mitwirkung bei der Entstehung informeller Treffs (z. B. im Ausklang eines „offiziellen“ Treffens) und das Angebot von Sommerfesten, Pflegeeltern-Pflegekind-Seminaren mit Kinderbetreuung sowie durch das Angebot von Gesprächs- und Schulungsgruppen zu besonderen Problembereichen („Geschwister in der Pflegefamilie“, „Mein Pflegekind kommt in die Pubertät“, „Hilfe bei Besuchskontakten“, „Erfahrungen im Umgang mit Traumata“ etc.) fördern (vgl. Kap. 9.2). Eine indirekte Hilfe für Pflegeeltern stellt auch die eigenständige Arbeit mit dem Pflegekind (Kap. 7.1) sowie die Arbeit mit der Herkunftsfamilie (Kap. 7.3) dar.

7.3 Die Arbeit mit der Herkunftsfamilie

7.3.1 Allgemeines

a)  Was meint „Arbeit mit der Herkunftsfamilie“?

Die Arbeit mit der Herkunftsfamilie meint im Rahmen der Pflegekinderarbeit etwas Dreifaches: Elternarbeit, Elternunterstützung und Arbeit mit „Eltern ohne Kind“.

Die Elternarbeit spricht die Eltern als Teil des „Dreiecks Pflegeeltern – Eltern – Kind“ an, zielt also auf die Einbeziehung der Herkunftseltern in das Pflegeverhältnis, auf persönliche Kontakte („Umgangs-“ bzw. „Besuchskontakte“) und andere Formen der Zusammenarbeit zwischen den beiden Familien ab. Elternarbeit soll Eltern dazu ermutigen und befähigen, die Entwicklung ihres Kindes in der Pflegefamilie zu unterstützen und ihrer elterlichen Teilverantwortlichkeit nachzukommen. Ausführungen hierzu finden sich im Kapitel 7.3.3.

Unter Elternunterstützung sind jene Aufgaben zu fassen, die in der Zeit der Abwesenheit des Kindes darauf abzielen, elterliche Kompetenzen zu erweitern, die Eltern für die Bedürfnisse ihres Kindes zu sensibilisieren und die Wirkungen ihres elterlichen Handelns auf das Kind besser einzuschätzen, ferner darauf, ihre soziale und persönliche Situation zu verbessern. Sie vollzieht sich als „Elternbildung“, als Unterstützung der Eltern bei der Re-Organisation ihres Alltags und bei der Stabilisierung der eigenen Person, als Unterstützung bei der Regelung ungeklärter sozialer Angelegenheiten (Finanzen, Wohnung, Beruf), ggf. als Unterstützung bei der Klärung ungeklärter persönlicher Beziehungen und schließlich als Erweiterung von Handlungspotenzialen, z. B. durch Unterstützung beim Auf- oder Umbau informeller Unterstützungsnetze. Auf dieses Kapitel wird im Kontext der Diskussion von Rückführungen in die Herkunftsfamilie im Kapitel 8.1.1 eingegangen.

Der Begriff Eltern ohne Kind“[1] verweist auf die neue Rolle, die Eltern nach der Herausnahme ihres Kindes aus der eigenen Familie zu suchen und schließlich auszufüllen haben. Als Arbeitsauftrag für Fachdienste formuliert geht es darum, die Eltern bei der Verarbeitung von Trennung und Verlust, bei der Entwicklung von Perspektiven für ein Leben ohne das Kind bzw. für ein Leben mit „geteilter Elternschaft“ und bei der Erreichung eines neuen familiären und persönlichen Gleichgewichts zu unterstützen. Hiermit befasst sich Kapitel 7.3.2.

Obwohl keine der drei Dimensionen außer Acht gelassen werden darf, werden die drei Aufgaben je nach Fallkonstellation eine unterschiedliche Gewichtung erfahren. Bei einer Inpflegegabe mit Rückführungsoption bildet die Elternunterstützung den Schwerpunkt der Arbeit, während auf die Arbeit mit „Eltern ohne Kind“ in der Zeit nach der Inpflegegabe des Kindes der Blick zu richten ist. Beide letztgenannte Konstellationen verweisen auf die Beendigung des Pflegeverhältnisses und werden daher im Kapitel 8 gesondert behandelt. Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen daher die Arbeit mit „Eltern ohne Kind“ sowie die Elternarbeit bei einer voraussichtlich längerfristigen oder dauerhaften Unterbringung. Insgesamt werden alle drei Aufgabenbereiche je nach amtsintern verabredeter Arbeitsteilung mal mehr vom ASD, mal mehr vom Pflegekinderdienst bearbeitet (vgl. Kap. 2.1).

b) Rechtliche Vorgaben

Die Arbeit mit der Herkunftsfamilie als allgemeine Orientierungsnorm ist vom Gesetzgeber verbindlich geregelt und steht der einzelnen Fachkraft nicht zur Disposition. Variationen ergeben sich lediglich je nach Phase und Perspektive eines Pflegeverhältnisses. Von Bedeutung hierfür sind insbesondere die §§ 36 und 37 SGB VIII (siehe Anhang Rechtliche Regelungen).

c)  Allgemeine Prinzipien für die Arbeit mit der Herkunftsfamilie

Die fachlichen Prinzipien für die Arbeit mit der Herkunftsfamilie entsprechen im Wesentlichen den allgemeinen Interaktionsregeln für das Sozialarbeiter-Klienten-Verhältnis: anzustreben ist der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses auf der Basis einer akzeptierenden, nicht abwertenden Haltung. Die Eltern sind mit ihren „Stärken“, nicht allein mit ihren „Schwächen“ anzusprechen. Grundsätzlich sollte ihnen – bis zum Beweis des Gegenteils – ein Interesse an ihrem Kind und einer guten Lösung für das Kind unterstellt werden. Sie sollten so weit wie möglich in Entscheidungen, die ihre Person und die Person ihres Kindes betreffen, einbezogen werden und hierzu so umfassend informiert werden, dass sie dieser Verantwortung gerecht werden können.

Obwohl die Realisierung solcher Prinzipien gerade in der Arbeit mit Eltern von Pflegekindern bzw. mit Eltern im Vorfeld einer Inpflegegabe nicht selten auf Grenzen in der Person der Eltern und auf emotionale Barrieren bei den Fachkräften stößt, ist es nicht nur aus berufsethischen Gründen und der gesetzlich vorgegebenen Normen wegen unerlässlich, sie mit der gebotenen professionellen Distanz in die Arbeit einzubringen, sondern ebenso im Interesse des Kindeswohls und einer gedeihlichen Entwicklung des Kindes in der Pflegefamilie. Vertrauensbildung, Beteiligung bei Entscheidungen und Anerkennung der Eltern als für das Kind wichtige Personen entscheiden sehr maßgebend über die nachfolgende Kooperationsbereitschaft, über die Bereitschaft, auch künftig ihren Teil zum Wohlbefinden des Kindes beizutragen oder sich ggf. auch vom Kind zu lösen und es „freizugeben“. Umgekehrt besteht die Gefahr, dass Eltern, die sich missachtet und ausgeschlossen fühlen, oft noch Jahre nach der Herausgabe oder Abgabe des Kindes das Kind und die Pflegeeltern durch „eigensinniges“, unkooperatives und unempathisches Verhalten verwirren und eigene unbearbeitete Konflikte in das Pflegeverhältnis hineintragen.

7.3.2 „Eltern ohne Kind“: Die Arbeit mit der Herkunftsfamilie vor und nach der Inpflegegabe

Viele Probleme im Kontext von Elternarbeit und Elternunterstützung erscheinen in einem anderen Licht, wenn man bedenkt, dass die Eltern (Mütter, Väter, Partner/-innen etc.) während des laufenden Pflegeverhältnisses nicht mehr als „Eltern“ im gesellschaftlich üblichen Sinne agieren, sondern als Personen, denen das Kind „abhanden gekommen“ ist: sie haben sich von ihm getrennt, es womöglich „abgeschoben“, weil es ihr eigenes Lebensglück beeinträchtigte, oder es wurde ihnen – die häufigste Konstellation – „weggenommen“, weil ein Jugendamt bzw. Familiengericht ihnen die Erziehungsfähigkeit zum Wohl des Kindes abgesprochen hat. Möglicherweise haben sie dies als Erleichterung erlebt, im Regelfall werden sie es aber als „Schande“, als „Willkür“, als gegen sie gerichtet erleben. Hinzu kommen zwei weitere Tatbestände: zum einen sind sie Eltern, die es im Alltag nicht mehr sind – „Rabeneltern“ oder Eltern, die sich das selbst zuzuschreiben haben, was ihre Position gegenüber „richtigen Eltern“ schwächt und deshalb leicht als persönliche Belastung erlebt wird. Zum anderen begegnen sie, die „eigentlich richtigen Eltern“, den Pflegeeltern als Personen, die so tun, als ob sie die Eltern wären. Nichts von dem kann ohne Schuld- und Schamgefühle erlebt werden, weshalb die wichtigste Aufgabe der Arbeit mit „Eltern ohne Kind“ ist, sie bei deren Bearbeitung zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, ihre neue Rolle dem Kind, den Pflegeeltern, dem Jugendamt und der Umwelt gegenüber „zum Wohle des Kindes“ einzunehmen. Wo dies nicht gelingt, muss mit der „Störung“ des Pflegeverhältnisses, das heißt mit einem Hineintragen des ungelösten Problems in das Pflegeverhältnis, gerechnet werden.

a)  Arbeitsweisen

Die Arbeit mit „Eltern ohne Kind“ sollte – soweit das möglich ist – zu einem Zeitpunkt beginnen, an dem sie noch „richtige Eltern“ sind, also vor der „Abgabe“ oder der „Herausnahme“ des Kindes. In dieser Phase ist – neben einer grundlegenden wertschätzenden Haltung den Eltern gegenüber – Dreierlei von Bedeutung:

- eine verhaltensorientierte und klar formulierte Haltung zu dem, was das Kind in seiner gegenwärtigen Situation braucht oder was es in der gegenwärtigen Situation schädigt,

-  die Offenlegung der eigenen Rolle, von Wahrnehmungen, Bewertungen und Zielen,

- eine möglichst weitgehende Einbeziehung aller Beteiligten in den Interventions- und Hilfeprozess.

Je näher die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie rückt, desto bedeutsamer wird es, das auf die Eltern Zukommende gedanklich durchzuspielen; dies vor allen Dingen bei den nicht seltenen, aber möglichst zu vermeidenden plötzlichen Herausnahmen, und ggf. auch noch in der Zeit der vorläufigen Unterbringung. Den Bezugspersonen sollte hierbei Raum gegeben werden, ihre Ängste, auch ihre Wut oder Enttäuschung, zu artikulieren, und es sollte Anliegen der Fachkräfte sein, antizipatorisch die Eltern auf die zukünftigen Situationen vorzubereiten: Wie sag ich „es“ den Nachbarn und Verwandten und ggf. den in der Familie verbleibenden anderen Kindern? Welche Möglichkeiten habe ich, die entstehende „Lücke“ zu füllen, was kann ich jetzt zusätzlich für mich selbst tun? Auch die erste Begegnung mit den Pflegeeltern sollte geplant werden, und schon jetzt sollte durchgespielt werden, wie künftige Besuche durchzuführen sind.

Von besonders großer Bedeutung für das künftige Geschehen ist es, die Bezugspersonen über jeden Schritt bei der Suche nach Pflegeeltern zu informieren, sie umfassend über die ins Auge gefasste Familie zu unterrichten und sie sogar – soweit organisatorisch möglich und fachlich zu verantworten – an der Auswahl der Pflegefamilie zu beteiligen. Weichenstellend für den weiteren Verlauf wird dann der erste Kontakt zwischen Eltern und Pflegeeltern, für den zunächst ein neutraler Ort gewählt werden sollte, dem aber möglichst eine Begegnung in der Pflegefamilie folgen sollte.

Die Arbeit mit „Eltern ohne Kind“ hat zwar in der Anfangsphase ihre größte Bedeutung, sollte aber auch im Laufe des Pflegeverhältnisses fortgeführt werden (vgl. den nachfolgenden Abschnitt). Gelegentlich werden auch schon spezielle Gruppen für die „abgebenden“ Eltern angeboten. Diese Arbeit kann freilich nur durchgeführt werden, wenn hierfür Ressourcen – ggf. für Honorarkräfte – zur Verfügung gestellt werden.

7.3.3 Die Elternarbeit: Persönliche Kontakte im laufenden Pflegeverhältnis[2]

Die Pflegekinder-Fachkräfte (und mit anderem Arbeitsschwerpunkt der ASD) sehen sich in laufenden Pflegeverhältnissen häufig vor die schier unlösbare Aufgabe gestellt, die Kin­der/Jugendlichen einerseits nicht von ihren biografischen Wurzeln abzuschneiden, sie und die Pflegeeltern andererseits vor kindeswohlgefährdenden bzw. das pflegefamiliale System überfordernden „Übergriffen“ und „Störungen“ zu schützen. Wohlfeile Lösungen für dieses Problem hat bislang weder die Praxisdiskussion noch die Wissenschaft hervorgebracht. Diese stellt aber immerhin einige Kriterien bereit, an denen sich die Fachdiskussion orientieren kann.

Über Elternarbeit soll – wie es im Gesetz heißt – erreicht werden, dass die Pflegepersonen und die Eltern des Kindes zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen zusammenarbeiten. Damit sind sowohl die Ziele als auch die Grenzen von Elternarbeit vorgegeben: maßgebend für alle Entscheidungen hinsichtlich der persönlichen Kontakte ist das Wohl des Kindes. Ob es persönliche Kontakte zwischen Eltern bzw. Elternteilen und dem Kind in der Pflegefamilie geben soll, wie und in welcher Häufigkeit sie ausgestaltet werden sollen, setzt darum zunächst eine gründliche Abklärung voraus. Für sie ist grundlegend zunächst zu bedenken:

  •  Verlauf und Wirkung von persönlichen Kontakten hängen nicht allein von den Personen der Herkunftsfamilie und ihrem Verhalten ab, sondern sind auch eine Funktion der Bewältigungskompetenzen der Pflegekinder, der Haltung der Pflegeeltern den Eltern und den persönlichen Kontakten gegenüber und nicht zuletzt auch nicht unabhängig von der Haltung und der Unterstützung der Fachkräfte. Jede Entscheidung über persönliche Kontakte muss deshalb das Gesamt der Bedingungen und Voraussetzungen sowie deren Wechselwirkungen berücksichtigen.

  • Die Bedeutung von Kontakten von Kindern zu ihrer Herkunftsfamilie verändert sich im Laufe der Entwicklungsgeschichte eines Kindes und seiner Identitätsentwicklung prozesshaft. Konkret bedeutet dies, dass Regelungen über Besuchs- bzw. Umgangskontakte zwischen vorübergehendem Ausschluss und aktiver Unterstützung von Wieder-Annäherung immer neu zu eruieren und zu bewerten sind. Es ist also darauf zu achten, dass sie sich an den sich fortentwickelnden lebensgeschichtlichen Themen des Pflegekindes, seinen Selbst-Deutungen, seinen Bewältigungskompetenzen, seiner Situation in der Pflegefamilie und an seiner Suche nach einer Lösung für seine Identitätsprobleme orientieren.

  • Die leibliche Herkunft spielt eine zentrale Rolle bei der Identitätsbildung des Pflegekindes und kann deshalb nie für irrelevant erklärt werden. Dies besagt, dass einem Pflegekind die Auseinandersetzung mit der „doppelten Elternschaft“ und dem Tatbestand, dass es – wie jedermann – von konkreten Eltern abstammt, nicht erspart werden kann. Sie kann nur hilfreich unterstützt oder erschwert werden.

7.3.4 Anregung für die konzeptionelle Weiterentwicklung

Die Planung und Umsetzung von persönlichen Kontakten setzt immer eine prozesshafte Diagnostik voraus, die das Gesamtsystem in den Blick nimmt und Wechselwirkungen von Haltungen, Selbstdeutungen und Verhaltensweisen aller Systemangehörigen herausarbeitet. Das diagnostische Material sollte in einem zweiten Schritt daraufhin ausgewertet werden, an welchen Stellen Interventionen möglich sind und den größtmöglichen Erfolg versprechen. So könnte sich z. B. das Blatt wenden, wenn es gelingt, die Zustimmung der Eltern zum dauerhaften Verbleib der Kinder in der Pflegefamilie zu erlangen, weil hierüber den Pflegeeltern ihre Angst vor Verlust des Kindes genommen wird und sie persönlichen Kontakten („Besuchskontakten“) gelassener und in einer das Kind nicht verwirrenden Form entgegenblicken können. In einem anderen Fall könnte die entscheidende Intervention darin liegen, mit den Herkunftseltern ihre Rolle als „Eltern ohne Kind“ zu reflektieren und ihnen bei der Anpassung an die neue Rolle behilflich zu sein.

Am schwierigsten wird die Situation für die Fachkräfte, wenn die Pflegeeltern von Auffälligkeiten und Belastungsreaktionen nach persönlichen Kontakten berichten. Auch in solchen Fällen ist es vorweg notwendig, die Situation „nach allen Seiten hin“ abzuklären. So könnte sich die Belastungsreaktion bei genauerem Hinschauen als eine normale Reaktion – Aufregung, Kummer, Ärger – nach einer (Wieder-)Begegnung mit den Eltern erweisen oder Ausdruck dafür sein, dass das Kind noch keine vertrauensvolle Beziehung zu den Pflegeeltern aufbauen konnte und sich in einer schwierigen Situation von ihnen im Stich gelassen fühlt. Den Hintergrund können aber auch grob unangemessene Verhaltensweisen der Herkunftseltern oder der Pflegeeltern bilden, und schließlich kann die Begegnung mit den Eltern für das Kind vor dem Hintergrund stark belastender Erfahrungen in der Herkunftsfamilie so angstauslösend sein, dass die Bewältigungsfähigkeiten des Kindes strukturell überfordert sind und eine Beeinträchtigung der weiteren Entwicklung droht. Die Intervention wird je nach Diagnose entsprechend auszufallen haben und sich mal auf die „Beruhigung“ der Pflegeeltern zu konzentrieren haben, mal auf die Unterstützung des Kindes bei der Verarbeitung seiner Erlebnisse, mal auf eine Neufassung von Regeln für die Durchführung von persönlichen Kontakten in einem gemeinsamen Pflegeeltern-Ge­burtseltern-Gespräch, in anderen Fällen werden sich die Fachkräfte aber auch für begleitete persönliche Kontakte oder vorübergehende Kontaktverbote einzusetzen haben.

Hinzuweisen ist noch darauf, dass neben den Eltern auch Großeltern, Geschwister, ein früherer Ehegatte eines Elternteils, der mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, und schließlich auch Personen, bei denen das Kind längere Zeit in Familienpflege war, gemäß § 1685 BGB ein „Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient“, haben und somit ebenfalls für den persönlichen Kontakt mit dem Kind infrage kommen können. Soweit ein Kontakt zu den Eltern entweder nicht realisierbar oder nicht wünschenswert ist, sollte dieser „Alternative“ für das Kind eine besondere Beachtung geschenkt werden, wobei dann die gleichen Kriterien anzulegen sind wie für die Eltern benannt, es aber zusätzlich darauf ankommt, zu beurteilen, ob solche Besuche nicht nur nicht schädlich sind, sondern – wie vom Gesetzgeber ausdrücklich hervorgehoben – unmittelbar dem Wohl des Kindes dienen.



[1]    Der Begriff geht zurück auf Josef Faltermeier, in: „Verwirkte Elternschaft“, Münster 2001

[2]    Anregungen für dieses Kapitel wurden dem Aufsatz von Kindler 2005 entnommen.


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