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Teil B

Die fachliche Arbeit der Pflegekinderdienste: Qualitätsstandards und Prozessqualitäten

Die vorangegangenen Kapitel haben sich mit den Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche und bedarfsgerechte Pflegekinderarbeit, den Strukturqualitäten, befasst. Rationale, der komplexen Aufgabenstellung angemessene Strukturen sind unerlässlich. Sie entlasten vom Entscheidungsdruck, vermitteln Sicherheit und Verlässlichkeit, sorgen für Transparenz und wirken stabilisierend für Alltagsroutinen. Dennoch ist eine „gute“ Struktur lediglich eine notwendige Bedingung für fachliches Handeln, jedoch noch keine hinreichende. Innerhalb der Struktur gilt es jene Prozesse zu gestalten, die den Kern der Aufgabenwahrnehmung ausmachen. Die Gestaltung des Hilfeprozesses bedarf daher eigener Überlegungen. Dieser Teil handelt also von den fachlichen Aufgaben im Pflegekinderbereich.

Gegliedert ist der Teil entlang den tatsächlichen Aufgaben von Pflegekinderdiensten. Kapitel 5 ist der Beteiligung des PKD an der Hilfeplanung gewidmet. Dabei wird auch auf die Mitarbeit von Pflegepersonen an der Zielerreichungsdokumentation eingegangen (vgl. Kap. 1.2.2 und Kap. 1.2.3), und die sich aus § 8a SGB VIII ergebenden Anforderungen an Pflegekinderdienste werden erörtert. Die dem Kapitel beigegebenen Anlagen verstehen sich als Hilfsmittel für die Informationssammlung im Vorfeld einer Inpflegegabe und für die von sozialpädagogischen und sonderpädagogischen Pflegeeltern zu erstellenden Zielerreichungsdokumentationen.

Im Kapitel 6 werden die Aufgaben von Pflegekinderdiensten im Vorfeld der Inpflegegabe eines Kindes beschrieben, im Kapitel 7 die Unterstützung und Beratung der an einem Pflegeverhältnis beteiligten Personen (Pflegekinder, Herkunftsfamilien und Pflegeeltern), im Kapitel 8 Aufgaben, die sich bei der Beendigung von Pflegeverhältnissen ergeben. Nicht alle Vorschläge und Erörterungen dieser Kapitel werden die Zustimmung aller Leserinnen und Leser finden. Sie können aber als Anregung für die Entwicklung eigener fachlicher Standards gelesen werden.

Neben den fallbezogenen Arbeiten steht jedes Jugendamt vor der Aufgabe, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, geeignete Bewerberinnen und Bewerber um Pflegekinder zu informieren, sie auf ihre Aufgabe vorzubereiten und sie prozessbegleitend bei der Sorge um das Pflegekind durch Fortbildung und Supervision zu unterstützen. Anregungen zur Durchführung dieser Aufgaben enthalten die Kapitel 9.1 und 9.2. Ferner: Ein Pflegekinderdienst kommt nicht umhin, sich gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit, der Fachöffentlichkeit und gegenüber jugendpolitischen Gremien und anderen Abteilungen des Jugendamts zu legitimieren und Rechenschaft über seine Arbeit abzulegen. Anregungen zur Gestaltung eines öffentlichen Berichtswesens enthält Kapitel 9.3.1. Und schließlich: Pflegekinderdienste sollten sich selbst der Erfolge ihrer Arbeit vergewissern und in einem permanenten Prozess Abläufe, Verfahrensweisen und fachliche Normen überprüfen. Diese als (Selbst-)Evaluation gekennzeichnete Aufgabe ist Gegenstand des Kapitels 9.3.2.

 

5. Aufgaben des PKD in der Hilfeplanung

Die Hilfeplanung obliegt zunächst dem ASD. Er erarbeitet die Eingangsdiagnostik und legt im Zusammenwirken mit Fachkollegen und den Leistungsberechtigten die Hilfeart fest. Die Zuständigkeit des ASD bleibt auch in Fällen von Fremdplatzierungen bestehen, soweit diese einen befristeten Charakter aufweisen bzw. deren Dauerhaftigkeit (noch) nicht festgestellt werden kann. Kommt es aber zu der Entscheidung, dass die Betreuung und Erziehung eines Kindes/Jugendlichen dauerhaft der Pflegefamilie obliegen soll, so geht die Zuständigkeit des Falles – und damit auch die weitere Hilfeplanung für dieses Kind / diesen Jugendlichen – auf den PKD über (vgl. Kap. 2.1.1). Entsprechend hat der PKD eigenverantwortlich den Hilfeplan fortzuschreiben und die weitere Hilfe anhand des Plans zu kontrollieren.

Die nachfolgenden Erörterungen und Empfehlungen zur Ausgestaltung der Hilfeplanung beziehen sich ausschließlich auf die vom PKD zu leistenden Aufgaben.

5.1 Hilfefortschreibung und Berichtswesen auf einheitlicher Grundlage

Die Hilfeplanung des PKD im Rahmen einer auf Dauer angelegten Pflege baut in der Regel auf den vorangegangenen Hilfeplänen des ASD auf. Insofern handelt es sich um eine Hilfeplanfortschreibung, die sich nun schwerpunktmäßig mit dem Kind/Jugendlichen beschäftigt. Die Herkunftsfamilie kann allerdings an Bedeutung gewinnen, wenn über persönliche Kontakte zwischen Herkunftsfamilie und Pflegefamilie relevante Informationen vorliegen, die Auswirkungen auf das Kind / den Jugendlichen haben. Gleiches gilt für den Bereich der Verwandtenpflege. Hier ist unter Umständen ein größeres Gewicht auf die familiale Situation zu legen, da diese Pflegeverhältnisse dem PKD häufig erst im Nachvollzug bekannt werden und insofern weder eine Auswahl noch eine Qualifizierung stattgefunden hat.

Über die Hilfeplanfortschreibung hinaus ist der Pflegekinderdienst auch für mögliche weitere Berichte zuständig: Stellungnahmen an das Familiengericht, Berichte an den Vormund und ggf. für weitere Zwecke. Alle Berichte fußen auf Informationen, die im Laufe von Begleitung und Betreuung des jeweiligen Pflegeverhältnisses gesammelt werden müssen. Es geht um die Situation und Entwicklung des Pflegekindes, der Pflegefamilie, und z. T. auch der Verwandten-/Herkunftsfamilie, und um entsprechende Wechselwirkungen mit Konsequenzen für das Pflegeverhältnis. Aus solchen Informationen ergeben sich – spätestens mit der Erstellung eines Berichtes oder des Hilfeplans – Konsequenzen für die weitere Ausgestaltung des Pflegeverhältnisses, für die Verfolgung unterschiedlicher Ziele, die Vorbereitung einer Rückkehr oder die Verdeutlichung der aktuellen Situation für Dritte (z. B. Gericht).

Die für unterschiedliche Zwecke benötigten Informationen unterscheiden sich in der Regel nur in Einzelheiten bzw. in deren Gewichtung für den jeweiligen Zweck. Vorgeschlagen wird deshalb die Nutzung eines einheitlichen Beobachtungsrasters als Checkliste für die Informationssammlung.[1] Es gilt, unter Zuhilfenahme der Liste die Entwicklungen, soweit sie für das Pflegeverhältnis von Bedeutung sind, zu dokumentieren und diese Informationen zur weiteren Verarbeitung bereitzuhalten. Selbstverständlich ist, dass die Informationen mit den jeweils Beteiligten – im Pflegekinderwesen mit den Pflegeeltern und den Pflegekindern – erörtert und auch mit Blick auf mögliche Ziele hin interpretiert werden. Das Beobachtungsraster kann hier für die Einheitlichkeit der Dokumentation sorgen und damit für eine berichts- und hilfeplanrelevante Datenbasis. Dies gilt vor allen Dingen auch dann, wenn der ASD mit dem weitgehend gleichen Beobachtungsschema arbeitet und seine Anamnesen dadurch strukturiert.

Zur Beobachtung wird ein Raster (Anlage 1 zu diesem Kapitel) vorgeschlagen, das alle relevanten Beobachtungsdimensionen abdeckt und darüber hinaus der spezifischen Kon­stellation der unterschiedlichen Beteiligten gerecht wird. Das Raster ist in drei Ebenen unterteilt, deren Grad der Konkretisierung sich kontinuierlich erhöht. Entsprechend der Funktion einer Checkliste kann hier überprüft werden, ob Informationen aus den aufgelisteten Beobachtungsdimensionen vorliegen oder benötigt werden.

Die Checkliste kann einerseits als Frage- und Erinnerungsinstrument genutzt werden oder als Instrument zum Nachtrag von Informationen. Im ersten Fall könnte der Gebrauch z. B. mit der Frage verbunden sein: „Habe ich auf die Entwicklung der Kulturtechniken des Kindes geachtet?“, im zweiten Fall können bereits vorhandene Informationen unter Verwendung des strukturierten Rasters dokumentiert werden. Die Benutzung der Checkliste ist nicht auf die Ersterhebung von Informationen beschränkt, sie kann – und sollte – auch bei der Fortschreibung der Hilfepläne eingesetzt werden. Sie stellt eine generelle Unterstützung der Arbeit dar und kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt zur Anwendung kommen.

5.2 Anforderungen an die Hilfeplanung aus Sicht des PKD

Das wichtigste Planungsdokument ist der Hilfeplan. In ihm wird die aktuelle Situation verdeutlicht, werden die zu erreichenden Ziele aufgeführt, wird die zurückliegende Entwicklung bewertet und werden Perspektiven der zukünftigen Entwicklung dargestellt. Die Grundlage des Hilfeplans bilden die im Prozess der Begleitung und Betreuung des Pflegeverhältnisses ermittelten Informationen.

Die konkrete Strukturierung des Hilfeplans für den Bereich des PKD liegt in der Verantwortung des jeweiligen Jugendamtes, es muss aus ihm jedoch in jedem Fall eine differenzierte Auskunft über das Kind / den Jugendlichen und die Entwicklung der Hilfe ersichtlich sein. Die Tabelle listet die Soll-Felder des Hilfeplans auf.

Tabelle 18: Soll-Felder des Hilfeplans

 

Soll-Felder im Hilfeplan

 

Feldbeschreibung

Inhalt

A

Stammdaten

Persönliche Daten, Daten der Pflegefamilie, Sorgeberechtigte, usw.

B

Beschreibung der bisherigen Hilfeentwicklung

Zielerreichungen, Probleme, Ressourcen usw.

Einbeziehen der unterschiedlichen Sichtweisen (junger Mensch, Pflegeeltern bzw. Verwandte, evtl. Sorgeberechtigte, PKD)

C

Beschreibung der zukünftigen Handlungsschritte und Ziele

Einbeziehen der unterschiedlichen Sichtweisen (junger Mensch, Pflegeeltern bzw. Verwandte, evtl. Sorgeberechtigte, PKD)

D

Beschreibung von Abspra­chen und zusätzlichen Hilfeangeboten

Therapien, Hausaufgabenhilfen usw.

E

Rückkehrvereinbarungen

Festlegung der dazu notwendigen Schritte und Zielerreichungen

F

Umgangsregelungen

Vereinbarungen und Ausgestaltung

 

Mit Blick auf die Beschreibung der bisherigen Hilfeentwicklung und der zukünftigen Handlungsschritte können die Informationen herangezogen werden, die über die Checkliste er­mittelt wurden.

5.3 Beteiligung von Pflegeeltern an der Hilfeplanung

Teil der Aufgabe von Pflegeeltern in der „Sozialpädagogischen Pflege“ und der „Sonderpädagogischen Pflege“ ist das regelmäßige Verfassen von Berichten über den Stand der Hilfe (vgl. Kap. 1.2). Diese Berichte sollen über Zielerreichungen, die aktuelle Situation und mögliche weitere Schritte Auskunft geben und dienen als Grundlage für die Fortschreibung der Hilfepläne und die Weitergewährung der Hilfe – sie werden im Folgenden „Zielerreichungsdokumentationen“ genannt. Die Dokumentationen sollten auf der Basis einer Checkliste erstellt werden, die einerseits das Schreiben erleichtert und andererseits sicherstellt, dass alle notwendigen Informationen zur Weiterführung der Hilfe vorliegen. Es können daher zumindest einige der in der Checkliste in Anlage 1 genannten Dimensionen in verkürzter Form in die Zielerreichungsdokumentation übernommen werden. Es wird davon ausgegangen, dass den unten aufgeführten Kategorien Ziele zugrunde liegen, über deren Erreichung berichtet werden kann. Einen Vorschlag über Gliederung und Themen der Zielerreichungsdokumentation enthält die Anlage 2 zu diesem Kapitel.

5.4 Schutzauftrag des Jugendamtes nach § 37 Abs. 3 SGB VIII und Risikoeinschätzung im Bereich des § 8a SGB VIII

Durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) wurde der Schutz des Kindeswohls durch den § 8a SGB VIII gestärkt. Öffentliche und freie Träger der Jugendhilfe werden beauftragt, diesem Bereich besondere Aufmerksamkeit zu widmen und entsprechende Verfahren zu entwickeln. Dies gilt auch für den Pflegekinderdienst, da es auch im Kontext einer Familienpflege zu einer Kindeswohlgefährdung kommen kann. Dabei geht es weniger um die überprüften und qualifizierten Pflegefamilien – wobei Gefährdungssituationen in diesem Bereich nicht ausgeschlossen werden können –, sondern primär um Pflegeverhältnisse im Bereich des Social Network Care und der Verwandtenpflege, die nicht selten erst nachträglich als Fremdpflegen anerkannt werden. Zu Gefährdungssituationen kann es möglicherweise auch im Rahmen von persönlichen Kontakten zwischen Herkunftsfamilie und Pflegekind kommen. Zwar ist hinsichtlich einer genaueren Exploration der Gefährdung in der Regel der zuständige ASD einzuschalten, gleichwohl sollten die Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bekannt sein, um entsprechende Anzeichen und Beobachtungen bewerten zu können.

Gefährdungsrisiken in Pflegeverhältnissen

Es wird hier davon ausgegangen, dass in den Jugendämtern Dienstanweisungen und Explorationsmaterialien existieren, die es den Fachkräften erlauben, eine Kindeswohlgefährdung festzustellen und entsprechende Schritte einzuleiten. Es wird in diesen Empfehlungen darum auf eine Beschreibung unterschiedlicher Gefährdungslagen verzichtet. Unterhalb der „klassischen“ Gefährdungsrisiken gibt es jedoch spezifische, das Wohl von Kindern gefährdende im Pflegekinderbereich vorkommende Momente. Auch wenn sie in der Regel mit den in § 8a gemeinten Gefährdungen wenig gemein haben, können sie doch zum Ausgangspunkt für gravierende seelische Verletzungen von Kindern werden. Bei diesen Gefährdungen gerät der Schutzauftrag des § 37 Abs. 3 in den Blick, der mit zur Aufgabe eines Pflegekinderdienstes gehört.

Solche spezifischen Gefährdungsrisiken im Bereich des Pflegekinderwesens können sein:

-     von der Herkunftsfamilie, den Pflegeeltern oder Dritten geschürte Loyalitätskonflikte

-     Formen der Abwertung der Herkunftsfamilie durch die Pflegefamilie

-     überzogene Dankbarkeitserwartungen der Pflegefamilie an das Kind und unangemessene pädagogische Handlungen der Pflegeeltern

-     eskalierende Konflikte zwischen (insbesondere) älteren Pflegekindern und ihren Pflegeeltern

-     aggressive oder psychisch verletzende Auseinandersetzungen zwischen dem Pflegekind und Pflegegeschwistern bzw. leiblichen Kindern der Pflegeeltern

-     extrem problematische Umgangsregelungen


[1]    Gegebenenfalls sollte dies elektronisch unterstützt erfolgen.

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