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Teil A

Fragen der Strukturqualität: Differenzierungsformen, Organisation und
Kooperation, Fachkräfte, Kosten und Personalbemessung

In diesem ersten Teil werden die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche und bedarfsgerechte Pflegekinderarbeit definiert. Hier stehen die Aufgabenstellungen, die Organisationsstrukturen, die Vernetzungen und Kooperationen und natürlich die Kosten im Zentrum der Betrachtung. Je klarer diese Basis geregelt ist, desto reibungsloser und verlässlicher kann die fachliche Arbeit im Pflegekinderdienst geleistet werden.

Das erste Kapitel wendet sich den unterschiedlichen Pflegearten zu. Unter Maßgabe des Satzes 2 des § 33 SGB VIII („Für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche sind geeignete Formen der Familienpflege zu schaffen und auszubauen.“) wird hier eine Reihe von Pflegearten definiert. Dabei werden die Zielsetzung, der Inhalt der mit der Art verbundenen Leistung und die Qualifikationsanforderungen an die Pflegeeltern näher beschrieben. Das geschieht unter der Überlegung, dass eine begriffliche und inhaltliche Einheitlichkeit die unabdingbare Voraussetzung für ein auf Landesebene funktionierendes Pflegekinderwesen ist.

Im zweiten Kapitel steht die Organisation des Pflegekinderwesens im Mittelpunkt. Dabei wird der Blick ebenso auf die interne Organisation geworfen (Aufgaben von ASD und PKD, Kooperationen dieser Sachgebiete) wie auf die übergreifenden Kooperationsbeziehungen zu freien Trägern und Pflegeelternvereinigungen.

Supervision, Fortbildung und die Ausstattung der Pflegekinderdienste bilden den Schwerpunkt des dritten Kapitels. Es wird hier für unerlässlich gehalten, dass den qualifikatorischen Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pflegekinderdiensten große Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Letztendlich hängen eine gelungene Vermittlung und eine sich daran anschließende zielorientierte Vollzeitpflege entscheidend von den fachlichen Kompetenzen der Fachkräfte ab.

Die Höhe der finanziellen Leistungen und die Berechnung von Mitarbeiterkapazitäten ist Gegenstand des letzten Kapitels dieses Abschnittes. Hier werden einheitliche Kostenstrukturen und Pauschalen für die unterschiedlichen Pflegearten definiert. Die Beachtung dieses Kapitels ist von besonderer Bedeutung, da gerade unterschiedliche finanzielle Leistungen – speziell in den Bereichen der Sozialpädagogischen Vollzeitpflege und der Sonderpädagogischen Vollzeitpflege – bei Übernahmen im Bereich des § 86 Abs. 6 SGB VIII immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendämtern führen.

1. Formen der Vollzeitpflege

Nachfolgend wird unter Berufung auf den § 33 Satz 2 SGB VIII und in Anlehnung an einen Vorschlag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge in seinen „Weiterentwickelten Empfehlungen zur Vollzeitpflege/Verwandtenpflege“ aus dem Jahr 2004 ein Differenzierungsmodell für den Pflegekinderbereich vorgestellt und – soweit die auf Dauer angelegten Pflegeformen betreffend – später auch mit Kosten unterlegt (Kap. 4.1).

Es werden drei Formen befristeter Vollzeitpflege, die „Kurzzeitpflege als erzieherische Hilfe“, die „Bereitschaftspflege“ und die „Befristete Vollzeitpflege mit Rückkehroption“ (Kap. 1.1), und drei Formen für auf Dauer angelegte Pflegeformen, die „Allgemeine Vollzeitpflege“, die „Sozialpädagogische Vollzeitpflege“ und die „Sonderpädagogische Vollzeitpflege“ (Kap. 1.2), in Form von strukturierten Leistungsbeschreibungen vorgestellt.[1] Ergänzend wird auf Besonderheiten der Verwandtenpflege sowie auf die noch relativ neuen Patenschaften für Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen (Kap. 1.3) eingegangen. Befristete Vollzeitpflegen mit Rückkehroption sowie Patenschaften werden als „Baustellen“ charakterisiert, womit dem Tatbestand Rechnung getragen wird, dass es sich um relativ neue, noch selten erprobte Pflegeformen handelt.[2] Insbesondere von einer Differenzierung nach Allgemeiner, Sozialpädagogischer und Sonderpädagogischer Vollzeitpflege wird eine Erweiterung der Problemlösungskompetenz der Vollzeitpflege auch gegenüber Erziehungsstellen und stationären Hilfen nach § 34 SGB VIII erwartet und für eine terminologische, konzeptionelle und finanzielle Vereinheitlichung der in der Praxis oft „naturwüchsig“ entstandenen Pflegeformen votiert.

Wiewohl sich diverse Jugendämter bereits der Aufgabe gestellt haben, ein den tatsächlichen Aufgaben von Pflegefamilien angemessenes Betreuungssetting und eine den Anforderungen entsprechende Finanzierung bereitzustellen, hinken die institutionellen Bedingungen für die Betreuung auch „schwierigerer“ Kinder und Jugendlicher in Pflegefamilien noch den realen Entwicklungen hinterher. Eine der Folgen ist ein Auseinanderklaffen von „Nachfrage“ und „Angebot“, eine andere Folge die häufige Überforderung von Pflegepersonen. Eine Ausdifferenzierung der Vollzeitpflege nach verschiedenen auf die unterschiedlichen Bedarfe von Pflegekindern zugeschnittenen Pflegeformen mit unterschiedlichen Erwartungen an die Pflegepersonen, unterschiedlichen Betreuungsarrangements und einer den unterschiedlichen Aufgaben angemessenen Finanzierung soll solchen Problemen gegensteuern.

Insgesamt geht der Vorschlag davon aus, dass sich über den Ausbau des Pflegekinderwesens zwei sonst oft als „unversöhnlich“ betrachtete jugendhilfepolitische Ziele, nämlich die Verbindung von Effektivität und Effizienz, besonders gut vereinbaren lassen. Mit den für die Familienerziehung konstitutiven Strukturmerkmalen „Einmaligkeit“, „Dauerhaftig­keit“, „Alltagsbezug“, „Körperlichkeit“ und „Normalität als Modell“ stellt die Vollzeitpflege ein „Setting“ zur Verfügung, das sich für viele Kinder seit Langem als ein der institutionellen Erziehung gegenüber überlegenes und eben gleichzeitig kostengünstiges Modell erwiesen hat.[3]



[1]    In der Darstellung folgen die Leistungsbeschreibungen der in Bremen üblichen Systematik, aus den dortigen Beschreibungen wurden zum Teil auch – nach Diskussion in der Projektgruppe – Formulierungen übernommen.

[2]    Erste Erfahrungen liegen u. a. aus Evaluationsstudien aus Hamburg und Bremen vor; Quellen hierzu im systematischen Literaturverzeichnis.

[3]    Hiermit wird die für insbesondere ältere Kinder und Jugendliche unentbehrliche Heimerziehung nicht abgewertet; plädiert wird lediglich dafür, Potenziale familiärer Erziehung offensiver zu nutzen.

 

1.1 Formen zeitlich befristeter Vollzeitpflege

Eine Alternative der Vollzeitpflege ist die zeitlich befristete Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII). In Übereinstimmung mit dem Deutschen Verein wird für diesen Bereich die Kurzzeitpflege in ihrer Ausgestaltung als eine besondere erzieherische Hilfe, die Bereitschaftspflege und die befristete Vollzeitpflege mit Rückkehroption inhaltlich qualifiziert. Nicht berührt ist die Kurzzeitpflege aus sozialen Gründen wie z. B. eine Krankheit der Mutter/Eltern, da sie nicht dem Bereich erzieherischer Hilfen zurechenbar ist und zumeist auch über Krankenkassen abgerechnet wird. Die Zugehörigkeit der Bereitschaftspflege zum Bereich der Vollzeitpflege ist rechtlich nur dort gegeben, wo sie nach § 33 SGB VIII gewährt wird, nicht bei Anwendung des § 42 SGB VIII (vorläufige Schutzmaßnahmen). Die Bereitschaftspflege wird zudem in vielen Fällen über eigene organisatorische Strukturen abgewickelt. Sie wird hier deshalb lediglich wegen ihrer besonderen Nähe zur Vollzeitpflege in konzeptioneller Hinsicht aufgenommen.

Die befristete Vollzeitpflege mit Rückkehroption ist eine relativ neue Pflegeform, die zwar bereits in einigen Jugendamtsbezirken praktiziert wird, deren letztendliche Ausformung aber noch aussteht. Sie wird hier als „Baustelle“ behandelt.

 

1.1.1 Kurzzeitpflege

 

 

Leistungsangebotstyp

Kurzzeitpflege als erzieherische Hilfe

1. Art des Angebots

Die Kurzzeitpflege als erzieherische Hilfe unterstützt Kinder mit einem über einen einfachen Betreuungsbedarf hinausgehenden erzieherischen Bedarf während des kurzfristigen Ausfalls seiner gewöhnlichen Bezugsperson(en). Sie wird von pädagogisch erfahrenen und qualifizierten Einzelpersonen, Paaren oder Lebensgemeinschaften durchgeführt. Die Kurzzeitpflege erstreckt sich auf die Versorgung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen, die grundsätzlich noch bei ihren gewöhnlichen Bezugspersonen hinreichend versorgt werden können, aber aufgrund besonderer Umstände der kurzzeitigen Trennung oder aufgrund von Entwicklungs- bzw. Verhaltensstörungen in der Trennungsphase einer besonderen pädagogischen Zuwendung und einer speziellen psychosozialen Unterstützung und Förderung bedürfen.

Der Aufenthalt in dieser Pflegeform ist zeitlich klar begrenzt. Es wird von einer maximalen Dauer von drei Monaten ausgegangen. Eine formelle Hilfeplanung ist nicht notwendig. Zu dokumentieren sind jedoch der besondere erzieherische Bedarf sowie die Anforderungen an die Pflegepersonen.

2. Rechtsgrundlage

§§ 27, 33 Satz 1 SGB VIII in Verbindung mit § 20 SGB VIII. Es gilt ein Nachrangigkeitsgebot gegenüber Sozialleistungen anderer Träger.

3. Allgemeine Zielsetzung

Die Kurzzeitpflege verfolgt folgende Zielsetzungen:

w    w Übernahme der Betreuungs- und Erziehungsfunktion der Eltern für die Zeit ihrer Abwesenheit

w    w Unterstützung des Kindes/Jugendlichen bei der Verarbeitung der kurzfristigen Trennung und der mit ihr verbundenen Ängste und Krisen

w    w Aufrechterhaltung und Unterstützung des Kontaktes zwischen den abwesenden Bezugspersonen und dem Kind/Jugendlichen

w    w Unterstützung des Kindes/Jugendlichen bei der Überwindung von Entwicklungs- und Verhaltensproblemen

w    w Unterstützung des Kindes/Jugendlichen bei Wahrnehmung von alltäglichen Verpflichtungen (z. B. Schulbesuch; Schularbeiten) und bei Aufrechterhaltung von Kontakten im gewohnten sozialen Umfeld

w    w Vorbereitung des Kindes/Jugendlichen auf die Rückkehr in die eigene Familie

4. Typische Fall­konstellationen

Kinder/Jugendliche ab von 0 bis 17 Jahren

Kurzzeitige, befristete Unterbringung von Kindern, die bereits in der eigenen Familie eine erzieherische Hilfe erhalten

Kurzzeitige, befristete Unterbringung von Kindern nach irritierendem Anlass (z. B. unerwartete Krankenhauseinweisung der Bezugsperson nach Unfall; Zuspitzung einer innerfamiliären Krise)

Kurzzeitige, befristete Unterbringung von Kindern mit besonderen Problemlagen (z. B. unsichere Bindung an Bezugsperson, besonders ängstliche Kinder, Kinder mit sonstigem besonderen erzieherischen oder pflegerischen Bedarf)

Kurzzeitige, befristete Unterbringung eines Jugendlichen nach krisenhafter Auseinandersetzung mit Bezugsperson zur Entlastung

Kurzzeitige, befristete Unterbringung im Falle einer Kur, Entbindung, Inhaftierung oder beruflichen und ausbildungsbedingten Abwesenheit bei Alleinerziehenden

5. Inhalte der Leistung

 

Qualifizierungs- und Kooperationsverpflichtungen der Pflegefamilie

Verpflichtende und erfolgreiche Teilnahme an Grundqualifizierungsmaßnahmen für Pflegeeltern

Verpflichtende Kooperation mit dem öffentlichen Träger (Jugendamt, PKD)

In Fällen einer Übernahme von Aufgaben des öffentlichen Trägers durch einen freien Träger: verpflichtende Zusammenarbeit mit dessen Fachberatung

Erziehung / sozialpädagogische Betreuung

In Anknüpfung an die Vorerfahrungen des Kindes, seinen besonderen Förderbedarf, die Hintergründe der kurzzeitigen Unterbringung und die Lebensumstände des Kindes/Jugendlichen

Problemspezifische Versorgung und Erziehung, gesundheitliche Versorgung und Unterstützung ärztlicher/therapeutischer Aufgaben

Förderung von lebenspraktischen Fertigkeiten und Fähigkeiten, Unterstützung bei der Erlangung altersspezifischer Kompetenzen und bei der Bewältigung schulischer bzw. beruflicher Anforderungen

Unterstützung des Kindes/Jugendlichen bei der Aufrechterhaltung und Pflege persönlicher Kontakte im sozialen und familiären Umfeld, Aufrechterhaltung des Kontaktes zur Herkunftsfamilie

Unterstützung des Kindes/Jugendlichen bei der Verarbeitung von Trennung

Unterkunft und Raumkonzept

Die Kinder und Jugendlichen leben im familiären Bereich der Pflegepersonen; die Unterbringung erfolgt nach dem Bedarf des Kindes

Verpflegung

Materielle Versorgung über Tag und Nacht

Dauer des Aufenthaltes

Maximal bis zu drei Monaten

6. Persönliche und
familiäre Voraussetzungen

Grundverständnis von der Entwicklung eines Kindes und von der Entwicklung und Bedeutung familiärer Beziehungen

Zeit für eine bedarfsgerechte Betreuung des Kindes

Erfahrung im Umgang mit entwicklungs- und verhaltensgestörten Kindern

Bereitschaft zur Einbeziehung der Kindeseltern

In dieser Pflegeform können in der Regel nicht mehr als zwei Pflegekinder betreut werden

 

1.1.2 Bereitschaftspflege

 

 

Leistungsangebotstyp

Bereitschaftspflege

1. Art des Angebots

Die Bereitschaftspflege ist eine Form der Krisenintervention, d. h. es liegt eine kindeswohlgefährdende Situation vor, die durch die Jugendhilfe Jugend­hilfe abgewendet werden muss. Die Betreuung findet in einem familialen Rahmen statt. Die Bereitschaftsbetreuung fängt das Kind auf und unterstützt die beteiligten Fachpersonen bei der Perspektivklärung, die sich am Kindeswohl orientiert. Es handelt sich um einen systematischen Prozess, in dem in einem relativ kurzen Zeitraum zielgerichtete Aktivitäten hinsichtlich des Verbleibs des Kindes entwickelt werden. Dieser Prozess wird über den Hilfeplan gesteuert. Grundsätzlich ist die Rückkehr des Kindes zu seiner Herkunftsfamilie vorrangig zu prüfen und ggf. mit ambulanten Hilfsmaßnahmen zu unterstützen. Zentrales Merkmal der Bereitschaftspflege sind der nicht vorhersehbare Beginn und die nicht vorhersehbare Aufenthaltsdauer des Kindes. Gleichwohl ist die Unterbringung im Rahmen der Bereitschaftspflege zeitlich befristet. Entsprechend ist eine Entscheidung über die weitere Perspektive in einem der Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraum zu treffen. Eine Aufrechterhaltung des Kontaktes zur Herkunftsfamilie soll – je nach Problemlage – ein Teil der Arbeit der Bereitschaftspflege sein.

2. Rechtsgrundlage

§§ 42, 27, 33 SGB VIII

3. Allgemeine Zielsetzung

Dem Kind/Jugendlichen in dem zur Klärung der Situation notwendigen zeitlichen Rahmen „Obhut“ zu geben

Versorgung und Betreuung des Kindes/Jugendlichen

Beteiligung am Klärungsprozess hinsichtlich der weiteren Perspektive für das Kind / den Jugendlichen (erzieherischer Bedarf, anderweitige Hilfen)

Gestaltung des Übergangs in andere Betreuungsformen oder der Rückkehr in die Herkunftsfamilie

Stabilisierung des Kindes/Jugendlichen

Sammlung von Informationen über das Verhalten und den speziellen Bedarf des Kindes/Jugendlichen, die der weiteren Klärung dienlich sein können

Kooperation mit allen Beteiligten und Beteiligung am Hilfeplan

4. Typische Fall­konstellationen

Kinder/Jugendliche von 0 bis 17 Jahren

(Vorübergehende) Inobhutnahme eines in der Herkunftsfamilie oder an anderem Lebensort nicht versorgten, aktuell gefährdeten Kindes/ Jugendlichen

„Flucht“ eines Kindes/Jugendlichen von seinem bisherigen Aufenthaltsort und verweigerte Rückkehr

Vorübergehende Unterbringung eines Kindes/Jugendlichen in einer Familie bis zum Zeitpunkt der Klärung des endgültigen Aufenthalts

5. Inhalte der Leistung

 

Qualifizierungs- und Kooperationsverpflichtungen der Pflegefamilie

Verpflichtende und erfolgreiche Teilnahme an Grundqualifizierungsmaßnahmen für Pflegeeltern

Verpflichtende Teilnahme an speziellen Supervisions- und/oder Fortbildungsveranstaltungen

Verpflichtende Kooperation mit dem öffentlichen Träger (Jugendamt, PKD) und Mitwirkung am Hilfeplan

Verpflichtende Kooperation mit anderen Beteiligten des Klärungsprozesses (Ärzten, Psychologen, Herkunftsfamilie usw.)

In Fällen einer Übernahme von Aufgaben des öffentlichen Trägers durch einen freien Träger: verpflichtende Zusammenarbeit mit dessen Fachberatung

Erziehung / sozialpädagogische Betreuung

Bei der Bereitschaftsbetreuung steht nicht ein expliziter Erziehungsauftrag, sondern ein Klärungsauftrag im Vordergrund

Bedingtes Bindungs- und Erziehungsangebot, Förderung der Entwicklung

Vermittlung von Bindungsübergängen

Gesundheitliche Prophylaxe und Versorgung

Problemspezifische Versorgung und Erziehung

Vorbereitung des Kindes/Jugendlichen auf die weitere Perspektive

Unterkunft und Raumkonzept

Die Kinder und Jugendlichen leben im familiären Bereich der Pflegepersonen; ein eigenes Zimmer ist für die Kinder/Jugendlichen entwicklungsbedingt vorzuhalten

Verpflegung

Materielle Versorgung über Tag und Nacht

Dauer des Aufenthaltes

Bis zu sechs Monaten (je nach Entwicklungsstand des Kindes/Ju­gendlichen); nach einer Inobhutnahme (§ 42 SGB VIII) ist die Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII unverzüglich einzuleiten

6. Persönliche und
familiäre Voraussetzungen

Zeit für eine bedarfsgerechte Betreuung des Kindes

Professionalität/Semi-Professionalität: eine pädagogische Qualifikation der Betreuungsperson sollte vorhanden sein, sie stellt aber keine unabdingbare Voraussetzung dar; notwendig ist in jedem Fall positive Erziehungserfahrung und pädagogisches Geschick

Bereitschaft in Absprache mit dem PKD zur Aufnahme eines Kindes

Adäquater Altersabstand zu eigenen Kindern

Keine eigenen Kinder unter drei Jahren

Eingebundenheit in ein unterstützendes Netzwerk (Partnerschaft, Nachbarschaft, Verwandtschaft usw.)

Akzeptanz der eigenen Familie für die Arbeit als Bereitschafts-Betreu­ungsfamilie

Offenheit gegenüber fremden Lebenswelten: Toleranz zu den Lebensweisen und Erziehungsformen in den Herkunftsfamilien

Flexibilität und Mobilität: selbstständiges Wahrnehmen von Außenkontakten (z. B. Fahrten zum Kinderarzt)

In dieser Pflegeform können in der Regel höchstens zwei Kinder/Ju­gendliche gleichzeitig betreut werden

Bereitschaftsfamilien sollten nicht gleichzeitig Adoptiv- und Pflegeelternbewerber sein und keine Pflegekinder in einer anderen Pflegeform betreuen

 

 

1.1.3 Befristete Vollzeitpflege mit Rückkehroption

 

 

Leistungsangebotstyp

Befristete Vollzeitpflege mit Rückkehroption

1. Art des Angebots

Die befristete Vollzeitpflege mit Rückkehroption ist eine Pflegeform mit dem Ziel der Rückführung von Kindern in ihre Herkunftsfamilie in einem voraussichtlich befristeten, aber nicht kurzen Zeitraum.

Der erzieherische Bedarf erstreckt sich auf die Überwindung der die Herkunftsfamilie überfordernden Entwicklungsbeeinträchtigung des Kindes durch die Betreuung des Kindes in der Pflegefamilie sowie die Unterstützung der Herkunftsfamilie zur Wiedererlangung ihrer erzieherischen Kompetenz und bei der Überwindung jener Faktoren, die zu der erzieherischen Überforderung geführt haben.

Voraussetzung der Hilfegewährung für diese Pflegeform ist die fachliche Einschätzung, dass die Rückführung mit Blick auf die Herkunftsfamilie und das Kind in einem befristeten Zeitraum möglich ist und die Herkunftsfamilie zur Mitarbeit und zur Annahme der in der Hilfeplanung festgestellten Unterstützung bereit ist. Dies ist in der Hilfeplanung festzustellen.

Bestandteil des Hilfsangebots ist ein gesonderter familienbegleitender Dienst.

2. Rechtsgrundlage

§§ 27, 33 SGB VIII

3. Allgemeine Zielsetzung

Entwicklung eines altersentsprechenden Umgangs mit emotionaler Bindung und Ablösung

Abbau von Entwicklungsdefiziten

Vermittlung sozialer Kompetenzen

Beziehungsgestaltung

Integration in Schule und Ausbildung

Bearbeitung der Konfliktebenen in der Beziehung zu den Eltern

Beibehaltung/Stabilisierung bzw. Wiederherstellung einer tragfähigen Eltern-Kind-Beziehung

Unterstützung der Reintegration in die Herkunftsfamilie und in die sie tragenden sozialen Netze

4. Typische Fall­konstellationen

Kinder/Jugendliche von 0 bis 14 Jahren …

…  die in der Familie wegen struktureller erzieherischer Überforderung der Personensorgeberechtigten schlecht versorgt und unzurei­chend betreut sind

…  die ambivalent an Personen der Herkunftsfamilie gebunden oder unangemessen in die Versorgung der Bezugspersonen eingebunden sind

…  deren vorübergehende Trennung von den Bezugspersonen zur Entlastung einer eskalierenden oder „festgefahrenen“ Situation beiträgt

Mit der Erziehung eines Kindes noch überforderte, aber mit Unterstützung stabilisierbare (junge) Mütter

Kinder und Jugendliche, deren Eltern chronifiziert suchterkrankt oder psychisch erkrankt sind, kommen in der Regel für die befristete Pflege mit Rückkehroption nicht infrage

5. Inhalte der Leistung

 

Qualifizierungs- und Kooperationsverpflichtungen der Pflegefamilie

Verpflichtende und erfolgreiche Teilnahme an Grund- und aufbauenden Qualifizierungsmaßnahmen, Fortbildung und prozessbegleitenden Maßnahmen (Gruppenarbeit)

Verpflichtende Kooperation mit dem Jugendamt (Bezirkssozialarbeit, PKD) und weiteren Kooperationspartnern (Ärzten, Psychologen, Schule usw.) sowie Mitwirkung am Hilfeplan

In Fällen einer Übernahme von Aufgaben des öffentlichen Trägers durch einen freien Träger: verpflichtende Zusammenarbeit mit dessen Fachberatung

Erziehung / sozialpädagogische Betreuung

Unterstützung und Förderung der Bindungen des Kindes zur Herkunftsfamilie und zu den tragenden sozialen Netzen

Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie; Einbeziehen der Herkunftsfamilie in den Erziehungsprozess

Förderung lebenspraktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten

Umfassende Förderung sozialer, emotionaler, motorischer, kognitiver und sprachlicher Kompetenzen

Förderung der schulischen Entwicklung des Kindes

Aufarbeitung/Bearbeitung von Entwicklungsstörungen und sozialen Defiziten

Gesundheitliche Prophylaxe und Versorgung

Problemspezifische Versorgung und Erziehung

Organisation und Unterstützung notwendiger therapeutischer Hilfen

Unterkunft und Raumkonzept

Die Kinder leben auf Zeit im familiären Bereich der Pflegepersonen; ein eigenes Zimmer ist für die Kinder vorzuhalten

Verpflegung

Materielle Versorgung über Tag und Nacht

Dauer des Aufenthaltes

Maximal bis zu zwei Jahren; bei Säuglingen und Kleinkindern soll die Befristung einen Zeitraum von sechs Monaten nicht überschreiten

6. Persönliche und
familiäre Voraussetzungen

Sozialpädagogische/psychologische Qualifikation oder nachgewiesene vergleichbare Qualifikation (langjährige semiprofessionelle Erfahrungen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen) des für die Erziehung im Alltag zuständigen Elternteils

Besondere Eignung und Bereitschaft zur Kooperation auch in komplexen Fallkonstellationen

Durchgängige häusliche Anwesenheit eines Pflegeelternteils aufgrund der Besonderheit der zu betreuenden Kinder

Betreuung von in der Regel bis zu zwei Pflegekindern in dieser Pflegeform

7. Familienbegleitender Dienst

Eine Rückkehr in die Herkunftsfamilie muss in der Regel durch Unterstützungsformen begleitet werden; hier ist entweder ein eigener familienbegleitender Dienst zu etablieren oder auf andere bereits vorhandene ambulante Maßnahmen zurückzugreifen (z. B. Sozialpädagogische Familienhilfe oder Formen der Krisenintervention)

1.2 Auf Dauer angelegte Pflegeformen

Den § 33 Satz 2 SGB VIII ernst nehmen heißt, ein entsprechend differenziertes Vollzeitpflegeangebot zu entwickeln und vorzuhalten. Nur dadurch kann man den unterschiedlichen Bedarfen der Kinder und Jugendlichen gerecht werden. Darüber hinaus ist es aber auch notwendig, diese Pflegeformen inhaltlich einheitlich auszuformen, da sonst im Falle von Übernahmen nach § 86 Abs. 6 SGB VIII erhebliche Schwierigkeiten entstehen, die zu großen Reibungsverlusten bei den beteiligten Jugendämtern führen. Im Folgenden werden drei Differenzierungsformen für die auf Dauer angelegte Vollzeitpflege vorgeschlagen: neben der Allgemeinen Vollzeitpflege zwei Pflegeformen für „besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche“ (§ 33 Satz 2), nämlich die Sozialpädagogische Vollzeitpflege und die Sonderpädagogische Vollzeitpflege. Es wird dafür plädiert, diese drei Formen als Standardformen umzusetzen, um hierüber auch terminologisch den „Wildwuchs“ von Bezeichnungen, insbesondere für nicht der Allgemeinen Vollzeitpflege zugerechnete Pflegeformen, zu beschneiden. Darüber hinaus sollte für einen bedarfsgerechten, den tatsächlichen Problemlagen der Kinder und den tatsächlichen Anforderungen an Pflegepersonen gerecht werdenden Ausbau der „besonderen Formen“ Sorge getragen werden.[1]

Ergänzend zu der Charakterisierung der Pflegeformen gibt es in diesem Kapitel eine tabellarische Übersicht zu Zuordnungsmerkmalen und Ausschlusskriterien für die unterschiedlichen Arten der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII. Die Übersicht enthält auch eine Abgrenzung zu Erziehungsstellen nach § 34 SGB VIII sowie zu stationären Einrichtungen. Im Kapitel 1.4 wird auf solche Abgrenzungen noch einmal detaillierter eingegangen.



[1]    Die Einführung der drei Pflegeformen „Allgemeine Vollzeitpflege“, „Sozialpädagogische Vollzeitpflege“ und „Sonderpädagogische Vollzeitpflege“ kommt in Niedersachsen sehr gut voran. Einer Befragung der Universität Hildesheim im Jahr 2014 zufolge verfügen von den 56 Jugendämtern mit einem kommunalen Pflegekinderdienst 100 % über eine Allgemeine Vollzeitpflege, 89,5 % über eine Sozialpädagogische Vollzeitpflege und 69,6 % über eine Sonderpädagogische Vollzeitpflege.

 

1.2.1 Allgemeine Vollzeitpflege

 

 

Leistungsangebotstyp

Allgemeine Vollzeitpflege

1. Art des Angebots

Die allgemeine Vollzeitpflege wird von persönlich qualifizierten Einzelpersonen, Paaren oder Lebensgemeinschaften durchgeführt, bei denen keine pädagogische Ausbildung vorausgesetzt wird. Sie erstreckt sich auf die Versorgung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen, die in ihrer Entwicklung bzw. aufgrund ihrer Behinderung in einem Umfang beeinträchtigt sind, der ohne professionelle Ausbildung zu bewältigen ist.

Insbesondere geeignet ist die Pflegeform, wenn ein Kind oder eine Jugendliche / ein Jugendlicher wegen des dauerhaften Ausfalls der Personensorgeberechtigten in der Herkunftsfamilie nicht mehr versorgt werden kann. Sie bietet dem Kind bzw. dem Jugendlichen einen längerfristigen Aufenthalt im familiären Rahmen.

Es handelt sich in der Regel um eine auf längere Dauer oder auf dauerhaften Verbleib angelegte Lebensform für das Kind, soweit sich im Rahmen der Kindeswohlsicherung bzw. durch familiengerichtliche Entscheidungen keine grundlegenden Änderungen der Situation in der Herkunftsfamilie ergeben. In dieser Pflegeform entspricht die zu leistende Aufgabe der Erziehung und Betreuung der Dynamik einer „Normalfamilie“.

2. Rechtsgrundlage

§§ 27, 33, 39, (41) SGB VIII

3. Allgemeine Zielsetzung

Förderung einer altersentsprechenden Entwicklung in den Bereichen „Sprache“, „Motorik“, „Kognition“, „Sozialverhalten“

Entwicklung eines altersentsprechenden Umgangs mit emotionaler Bindung und Ablösung

Aufarbeitung von Entwicklungsdefiziten

Vermittlung sozialer Kompetenzen

Integration in ein neues soziales Umfeld

Integration in Schule und Ausbildung

Erlangung von Schul- und Ausbildungsabschlüssen

(Wieder-)Herstellung/Beibehaltung einer tragfähigen Eltern-Kind-Beziehung

Verselbstständigung bzw. Reintegration in die Herkunftsfamilie

Entwicklung eines positiven Selbstbildes

4. Typische Fall­konstellationen

Kinder/Jugendliche von 0 bis 17 Jahren

Entwicklungsverzögerungen und leichte Verhaltensauffälligkeiten, die in einer „normalen“ Familie aufgefangen werden können

Langfristiger Ausfall der Eltern oder des allein erziehenden Elternteils wegen körperlicher Beeinträchtigung / psychischer Krankheit, psychiatrischer Versorgung oder Inhaftierung

Ungünstige Prognoseentscheidung im Hinblick auf eine erreichbare Stabilisierung von Personen der Herkunftsfamilie trotz Unterstützung

Tod der Hauptbezugspersonen

Rückzug der Personen der Herkunftsfamilie vom Kind/Jugendlichen oder aktive Ablehnung des Kindes/Jugendlichen

5. Inhalte der Leistung

 

Qualifizierungs- und Kooperationsverpflichtungen der Pflegefamilie

Verpflichtende und erfolgreiche Teilnahme an Grundqualifizierungsmaßnahmen für Pflegeeltern

Teilnahme an Supervision

Verpflichtende Kooperation mit dem öffentlichen Träger (Jugendamt, PKD) und Mitwirkung am Hilfeplan

In Fällen einer Übernahme von Aufgaben des öffentlichen Trägers durch einen freien Träger: verpflichtende Zusammenarbeit mit dessen Fachberatung

Erziehung / sozialpädagogische Betreuung

Förderung lebenspraktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten

Förderung sozialer, emotionaler, motorischer, kognitiver und sprachlicher Kompetenzen

Förderung der schulischen bzw. beruflichen Entwicklung des Kindes/ Jugendlichen

Integration des Kindes/Jugendlichen in das Netzwerk im Umfeld der Pflegefamilie

Unterstützung des Kindes bei der Aufarbeitung der eigenen Biografie und Entwicklung eines positiven Elternbildes

Aufarbeitung von erzieherischen und sozialen Defiziten

Gesundheitliche Prophylaxe und Versorgung

Problemspezifische Versorgung und Erziehung

Organisation und Unterstützung notwendiger pädagogischer und therapeutischer Hilfen

Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie; soweit dies dem kindlichen Bedarf entspricht, ggf. kindgemäße Information über die Vorgänge in der Herkunftsfamilie

Unterkunft und Raumkonzept

Die Kinder und Jugendlichen leben im familiären Bereich der Pflegepersonen; ein eigenes Zimmer ist für die Kinder/Jugendlichen entwicklungsbedingt vorzuhalten

Verpflegung

Materielle Versorgung über Tag und Nacht

6. Persönliche und
familiäre Voraussetzungen

Grundverständnis von der Entwicklung eines Kindes und von der Entwicklung und Bedeutung familiärer Beziehungen (insbesondere von Kind-Eltern-Beziehungen)

Zeit für eine bedarfsgerechte Betreuung des Kindes

In dieser Pflegeform können in der Regel nicht mehr als drei Pflegekinder betreut werden

 

1.2.2 Sozialpädagogische Vollzeitpflege

 

Leistungsangebotstyp

Sozialpädagogische Vollzeitpflege

1. Art des Angebots

Die sozialpädagogische Vollzeitpflege wird von persönlich qualifizierten und/oder fachlich ausgewiesenen Einzelpersonen, Paaren oder Lebensgemeinschaften durchgeführt. Sie erstreckt sich auf die Versorgung, Erziehung und Förderung von besonders entwicklungsbeeinträchtigten/verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen. Der erzieherische Bedarf resultiert – vor dem Hintergrund unterschiedlicher Konstellationen in der Herkunftsfamilie – aus Entwicklungsbeeinträchtigungen des Kindes oder der/des Jugendlichen, deren Bearbeitung eines fachlichen Anspruchs bedarf bzw. die Dynamik einer „Normalfamilie“ überfordert. Darüber hinaus sind mit diesem Leistungstyp Kinder und Jugendliche zu versorgen, die wegen einer angeborenen oder einer chronischen Erkrankung oder einer Behinderungsform einer besonderen pflegerischen und erzieherischen Zuwendung bedürfen. Es handelt sich in der Regel um eine auf längere Dauer oder auf dauerhaften Verbleib angelegte Lebensform für das Kind, soweit sich im Rahmen der Kindeswohlsicherung bzw. durch familiengerichtliche Entscheidungen keine grundlegenden Änderungen der Situation in der Herkunftsfamilie ergeben.

2. Rechtsgrundlage

§§ 27, 33, 35a, 39, (41) SGB VIII

3. Allgemeine Zielsetzung

Förderung einer altersentsprechenden Entwicklung in den Bereichen „Sprache“, „Motorik“, „Kognition“, „Sozialverhalten“

Entwicklung eines altersentsprechenden Umgangs mit emotionaler Bindung und Ablösung

Aufarbeitung von Entwicklungsdefiziten

Vermittlung sozialer Kompetenzen

Integration in ein neues soziales Umfeld

Integration in Schule und Ausbildung

Erlangung von Schul- und Ausbildungsabschlüssen

(Wieder-)Herstellung/Beibehaltung einer tragfähigen Eltern-Kind-Beziehung

Reintegration in die Herkunftsfamilie bzw. Verselbstständigung

4. Typische Fall­konstellationen

Kinder/Jugendliche von 0 bis 17 Jahren …

…  mit diagnostizierten Entwicklungsverzögerungen / starken Verhaltensauffälligkeiten

…  mit erheblich gestörten Elternbeziehungen auch aufgrund von komplexen Familienkonstellationen

…  mit dem Bedarf an einer besonderen erzieherischen und pflegerischen Zuwendung, aufgrund einer angeborenen oder chronischen Erkrankung oder Behinderung

Risikofaktoren in der Vorgeschichte des Kindes wie Vernachlässigung, Bezugspersonenwechsel, Alkoholembryopathie u. ä.

Traumatisierungen und Bindungsstörungen

5. Inhalte der Leistung

 

Qualifizierungs- und Kooperationsverpflichtungen der Pflegefamilie

Verpflichtende und erfolgreiche Teilnahme an Grund- und aufbauenden Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen für Pflegeeltern, prozessbegleitenden Maßnahmen (Gruppenarbeit) und Supervision

Verpflichtende Kooperation mit dem öffentlichen Träger (Jugendamt, PKD) und Mitwirkung am Hilfeplan

In Fällen einer Übernahme von Aufgaben des öffentlichen Trägers durch einen freien Träger: verpflichtende Zusammenarbeit mit dessen Fachberatung

Regelmäßige Berichtspflicht

Erziehung / sozialpädagogische Betreuung

Förderung lebenspraktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten

Förderung sozialer, emotionaler, motorischer, kognitiver und sprachlicher Kompetenzen

Förderung der schulischen bzw. beruflichen Entwicklung des Kindes/ Jugendlichen

Integration des Kindes/Jugendlichen in das Netzwerk im Umfeld der Pflegefamilie

Unterstützung des Kindes/Jugendlichen bei der Aufarbeitung der eigenen Biografie

Aufarbeitung von erzieherischen und sozialen Defiziten

Gesundheitliche Prophylaxe und Versorgung

Problemspezifische Versorgung und Erziehung

Organisation und Sicherstellung notwendiger therapeutischer und medizinischer Hilfen nach Maßgabe des Hilfeplans

Kontaktpflege zur bzw. Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie gemäß Hilfeplan

Unterkunft und Raumkonzept

Die Kinder und Jugendlichen leben im familiären Bereich der Pflegepersonen; ein eigenes Zimmer ist für die Kinder/Jugendlichen vorzuhalten

Verpflegung

Materielle Versorgung über Tag und Nacht

6. Persönliche und
familiäre Voraussetzungen

Sozialpädagogische/psychologische Qualifikation oder nachgewiesene vergleichbare Qualifikation / erzieherische Erfahrung möglichst des für die Erziehung im Alltag zuständigen Elternteils

Besondere Eignung und Bereitschaft zur Kooperation auch in komplexen Fallkonstellationen

Überwiegende häusliche Anwesenheit eines Pflegeelternteils in Abhängigkeit vom Alter und sonstiger Unterstützungssysteme (Kindergarten/Schule) der zu betreuenden Kinder

Betreuung von in der Regel nicht mehr als zwei Pflegekindern

 

1.2.3 Sonderpädagogische Vollzeitpflege

 

Leistungsangebotstyp

Sonderpädagogische Vollzeitpflege

1. Art des Angebots

Die Sonderpädagogische Pflege wird von pädagogisch-psycholo­gisch und ggf. medizinisch-pflegerisch qualifizierten Einzelpersonen, Paaren oder Lebensgemeinschaften durchgeführt. Sie bietet dem Kind bzw. dem Jugendlichen einen längerfristigen Aufenthalt im familiären Rahmen. Der erzieherische bzw. behindertenspezifische Bedarf basiert in dieser Pflegeform auf Beeinträchtigungen des Kindes, die auch mit besonderen und gezielten sozialpädagogischen Zuwendungen nicht vollends behebbar sind, weil sie zu einer grundlegenden Persönlichkeitsstörung geführt haben oder weil es sich um eine schwere Behinderung oder lebensbedrohende Erkrankung handelt.

2. Rechtsgrundlage

§§ 27, 33, 35a, 39, (41) SGB VIII; §§ 53/54 SGB XII (durch Beschluss AGJÄ vom 11.02.2010 sollen Fälle nach §§ 53/54 SGB XII als Sonderpädagogische Vollzeitpflege behandelt werden)

3. Allgemeine Zielsetzung

Die allgemeine Zielsetzung richtet sich nach der besonderen Situation des Kindes oder Jugendlichen, wobei den Ressourcen eines familiären Umfeldes (Emotionalität, Zuverlässigkeit, Beziehungsaufbau) eine besondere Bedeutung zukommt

Gegenüber seelisch behinderten und traumatisierten Kindern oder Jugendlichen steht eine nachholende, an den biografischen Erfahrungen und den Umweltbeziehungen orientierte Sozialisation unter Einschluss von Betreuungs- und Erziehungsaufgaben im Mittelpunkt

Gegenüber schwerbehinderten und lebensgefährlich erkrankten Kindern oder Jugendlichen stehen die angemessene pflegerische Betreuung und Förderungsaufgaben im Mittelpunkt

Die familiären Beziehungen des Kindes oder Jugendlichen sind situationsspezifisch einzubeziehen und zu unterstützen; eine Rückführung in die Herkunftsfamilie wird in der Regel nicht infrage kommen

4. Typische Fall­konstellationen

Kinder/Jugendliche von 0 bis 17 Jahren …

… mit wesentlicher seelischer Behinderung wie z. B.

›   diagnostizierte Entwicklungsverzögerungen und grundlegende Persönlichkeitsstörungen

›   erhebliche Verhaltensauffälligkeiten (Aggression/Regression)

›   schwere Traumata

…  mit erheblichen biografischen Risikofaktoren wie Deprivation, Beziehungsabbrüche, Gewalterfahrungen u. ä.

…  mit schwersten Traumatisierungen und Bindungsstörungen

…  mit wesentlicher körperlicher und/oder geistiger Behinderung

…  mit einer HIV-positiv-Diagnose

…  mit einer lebensbedrohlichen Krankheit

5. Inhalte der Leistung

 

Qualifizierungs- und Kooperationsverpflichtungen der Pflegefamilie

Verpflichtende und erfolgreiche Teilnahme an Grund- und aufbauen­den Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen sowie Fachberatungen für Pflegeeltern, prozessbegleitenden Maßnahmen und Supervision

Verpflichtende Kooperation mit dem öffentlichen Träger (Jugendamt, PKD) und weiteren beteiligten Institutionen (z. B. Gesundheits- und Therapieeinrichtungen); Mitwirkung am Hilfeplan

In Fällen einer Übernahme von Aufgaben des öffentlichen Trägers durch einen freien Träger: verpflichtende Zusammenarbeit mit dessen Fachberatung

Regelmäßige Zielerreichungsdokumentationen („Entwicklungsberichte“)

Erziehung / sozialpädagogische Betreuung

Förderung lebenspraktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten

Förderung sozialer, emotionaler, motorischer, kognitiver und sprachlicher Kompetenzen

Förderung der schulischen bzw. beruflichen Entwicklung des Kindes/ Jugendlichen in einem der Situation des Kindes oder Jugendlichen angemessenen Rahmen

Integration des Kindes/Jugendlichen in das Netzwerk im Umfeld der Pflegefamilie

Unterstützung des Kindes bei der Aufarbeitung der eigenen Biografie

Aufarbeitung/Bearbeitung von Entwicklungsstörungen und sozialen Defiziten

Gesundheitliche Prophylaxe und Versorgung

Problemspezifische (medizinische/pflegerische) Versorgung und Erziehung

Organisation und Unterstützung und evtl. Durchführung notwendiger therapeutischer Hilfen

Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie; Einbeziehen der Herkunftsfamilie in den Erziehungsprozess, soweit dies dem kindlichen Bedarf entspricht

Gestalten von Bindungs- und Trennungsprozessen

Unterkunft und Raumkonzept

Die Kinder und Jugendlichen leben im familiären Bereich der Pflege­personen; ein eigenes Zimmer ist für die Kinder/Jugendlichen vorzuhalten

Verpflegung

Materielle Versorgung über Tag und Nacht

6. Persönliche und
familiäre Voraussetzungen

Pädagogische/psychologische Qualifikation, medizinisch-pflegeri­sche Qualifikation

Einschlägige Berufserfahrung

Die Besonderheit der zu betreuenden Kinder/Jugendlichen setzt die überwiegende Betreuung durch die pädagogische Fachkraft der Familie voraus

In dieser Pflegeform sollen in der Regel nicht mehr als zwei Pflegekinder betreut werden

 

1.3 Weitere Pflegeformen

Eine besondere Rolle für den Pflegekinderbereich spielen die Verwandtenpflegestellen. Sie und ihnen in der Struktur ähnliche Pflegeformen im „sozialen Nahraum“ eines Kindes sind aus dem Pflegekinderbereich nicht wegzudenken, bedürfen aber wegen der inneren Nähe zwischen Pflegepersonen und Kind und seinen leiblichen Eltern sowie ihrer „Milieuverankerung“ einer besonderen Aufmerksamkeit.

Die Pflegeform „Patenschaften für Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen“ wurde in jüngerer Zeit im Kontext von Wissenschafts- und Praxisdebatten zum Schicksal von Kindern von Eltern mit psychischen Erkrankungen entwickelt und deshalb auf diesen Personenkreis hin konzentriert. Diskutiert werden gelegentlich aber auch Patenschaften für andere Problemgruppen, so z. B. zur Unterstützung und phasenhaften Entlastung von jungen Müttern oder für Kinder aus Suchtfamilien. Diese Pflegeform hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr als Regelangebot zahlreicher Jugendämter etabliert, sodass die noch in der ersten Ausgabe vorgenommene Klassifizierung als „Baustelle“ nicht mehr beibehalten wird.

Neu hinzugekommen, noch unzureichend etabliert und deshalb als Baustelle (@) eingeordnet ist die Frage der Ausrichtung der Pflegekinderdienste auf Pflegekinder mit Migrationshintergrund (1.3.3).

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1.3.1 Verwandtenpflege

Verwandtenpflege ist immer dann gegeben, wenn Kinder oder Jugendliche bei Verwandten oder Verschwägerten[4] bis zum dritten Grad für einen mehr als kurzfristigen Zeitraum über Tag und Nacht leben und von den Verwandten primär versorgt werden. Personen, die einen Enkel / ein anderes Verwandtenkind im Rahmen einer privaten Vereinbarung mit den Sorgeberechtigten betreuen, benötigen keine Erlaubnis zur Vollzeitpflege (§ 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII), haben jedoch Anspruch auf Beratung durch das Jugendamt.

Die Gewährung der Hilfe nach § 33 SGB VIII für Verwandtenpflegen ergibt sich daraus, dass der erzieherische Bedarf durch die leiblichen Eltern des Kindes nicht erfüllt werden kann – dies in der anderen Familie aber sichergestellt ist.[5]

In der sozialen Realität steht einer großen Zahl von Verwandten, die ein Kind aus dem großfamilialen Umfeld informell betreuen und die weder nach Beratung noch nach finanzieller Unterstützung nachsuchen, eine kleinere Zahl von Pflegepersonen gegenüber, die die Sorge für das Kind nicht aus eigenen Mitteln übernehmen können und deshalb um Grundsicherung bzw. Sozialgeld nach SGB II und SGB XII für das Kind nachsuchen, sowie eine Anzahl von Verwandten, die entweder vom Jugendamt aktiv für die Übernahme einer erzieherischen Hilfe gem. §§ 27, 33 SGB VIII angeworben wurden oder die von sich aus um die Anerkennung als Vollzeitpflegestelle nachsuchen. Das SGB VIII in der Fassung vom 13. September 2005[6] hat hierzu nunmehr in Reaktion auf ein Bundesverwaltungsgerichtsurteil aus dem Jahr 1995 in § 27 Abs. 2a eindeutig geklärt, dass „ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch entfällt, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen.“ Die Gewährung von Hilfe zur Erziehung setzt in diesem Falle aber voraus, dass „diese Person bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 36 und 37 zu decken.“ Des Weiteren stellt § 39 Abs. 4 Satz 4 nunmehr klar, dass gegenüber einer unterhaltsverpflichteten Person (eine solche kann Großvater/Großmutter, nicht jedoch eine andere verwandte Person sein) der monatliche Pauschalbetrag „angemessen gekürzt werden kann.“

Mit diesen Neuregelungen ist nunmehr nach jahrelangen kontroversen Diskussionen geklärt, dass bei sonst vorliegenden Voraussetzungen für die Gewährung einer erzieherischen Hilfe Großeltern nicht deshalb die Anerkennung als Vollzeitpflegestelle gemäß § 33 versagt werden kann, weil sie ggf. unterhaltsverpflichtet sind. Sie haben dann allerdings auch den Verpflichtungen nachzukommen, die auch nicht mit dem Kind verwandte Pflegeeltern zu erfüllen haben, wobei hier jedoch eine Kürzung des monatlichen Erziehungsbeitrags (nicht jedoch der materiellen Aufwendungen für das Kind) ggf. infrage kommen kann.

Trotz der begrüßenswerten Klarstellungen wird man von weiteren Unsicherheiten im Umgang mit Verwandten, insbesondere mit Großeltern, ausgehen müssen. Hintergrund hierfür ist zum einen, dass es sich bei Verwandtenpflegestellen häufig um „nachvollzogene“ Inpflegegaben handelt, da die Großeltern/Verwandten – auch aus Unkenntnis – das Verwandtenpflegekind zunächst informell aufgenommen haben. Zum anderen gibt es in der Praxis häufig Zweifel an der Eignung der Großeltern/Verwandten, z. B. weil intergenerative Verwicklungen vermutet werden und/oder die wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Situation sowie der Bildungsstand unter den aus dem Bereich der „Fremdpflege“ gewohnten Standards liegt.

Vorbehalte der ersten Art können mit § 27 Abs. 2a nunmehr insoweit überwunden werden, als sich aus der Regelung erschließen lässt, dass auch im Falle eines Nachvollzugs zu überprüfen ist, ob die Bewerberinnen und Bewerber zur Mitwirkung und Zusammenarbeit bereit und in der Lage sind (und die rechtlichen Voraussetzungen zur Gewährung einer erzieherischen Hilfe gegeben sind). Soweit dies in einem Verfahren der Eignungsfeststellung bejaht werden kann und die Verwandtenpflegestelle die geeignete Hilfeform darstellt, dürfte der „Nachvollzug“ künftig kein Hinderungsgrund für die Anerkennung sein. Andererseits ist eine Anerkennung zu versagen, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Dies wiederum muss nicht notwendigerweise bedeuten, dass das Kind nicht in der Verwandtenfamilie verbleibt. Sofern der Schutz des Kindes in der Familie mindestens einfachen Standards entspricht und eine den Bedürfnissen des Kindes entsprechende Erziehung gewährleistet ist, kann den Verwandten auch außerhalb einer erzieherischen Hilfe Beratung gewährt und ggf. durch entsprechende familienunterstützende Leistungen nach dem SGB VIII abgesichert werden (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 2004, S. 38).

Die zweite Gruppe von Bedenken sollte – soweit sie nicht ernsthaft die grundsätzliche Eignung der Verwandten als pflegende Personen begründen – unter dem in der neueren Forschung hervorgehobenen Gesichtspunkt der „Andersartigkeit“ von Verwandtenarrangements gegenüber Fremdpflegearrangements neu bewertet werden. Die Versorgung eines Kindes aus dem eigenen familiären Umfeld – so die Quintessenz – folgt einer eigenen Dynamik, beinhaltet besondere Risiken, aber auch besondere Chancen für das Kind. Verwandtenpflegestellen sind Pflegefamilien besonderer Art. Sie bedürfen deshalb einerseits einer besonderen, auf die Risiken großfamilialer Arrangements abgestellten Form der Beratung und Unterstützung, haben zum anderen aber auch die besondere Nähe zwischen Verwandten und Kind als einen bedeutsamen Schutzfaktor für die kindliche Entwicklung zu würdigen und bei Eignungsentscheidungen zu gewichten.

Der letzte Gesichtspunkt hat in jüngerer Zeit – auch in Verbindung mit fiskalischen Überlegungen – vermehrt dazu geführt, die Verwandtenpflege nicht nur „passiv“ hinzunehmen, sondern sie bewusst in die Suche nach einem Lebensort für ein von den Eltern nicht gut versorgtes Kind einzubeziehen. Sofern die Suche nicht allein auf Verwandte, sondern auch auf andere einem Kind oder Jugendlichen primär verbundene Personen (z. B. Eltern von Schulfreunden, Bekannte und Freunde der Eltern, Paten, Jugendgruppenleiter) erweitert wird, wird von Social Network Care gesprochen, der entsprechende methodisch besonders ausgestaltete Suchprozess als Homefinding.

Diese kurzen Ausführungen machen deutlich, dass die Verwandtenpflege eine besondere Stellung im Kanon der Pflegeformen einnimmt und insofern nicht nur als eine eigene Leistungsform auszugestalten ist, sondern dass auch für sie eine Spezialisierung innerhalb des Pflegekinderdienstes anzustreben ist. Hier muss der Intensität der Unterstützungsleistungen, den Spezifika der Themen und der Haltung zu den „besonderen“ Pflegeeltern Rechnung getragen werden.

 

Leistungsangebotstyp

Verwandtenpflege

1. Art des Angebots

Die Verwandtenpflege wird von persönlich qualifizierten Einzelpersonen, Paaren oder Lebensgemeinschaften durchgeführt, bei denen keine pädagogische Ausbildung vorausgesetzt wird. Sie erstreckt sich auf die Versorgung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen, die in ihrer Entwicklung bzw. aufgrund ihrer Behinderung oder aufgrund großer Probleme in der Geburtsfamilie in einem Umfang beeinträchtigt sind, der ohne professionelle Ausbildung zu bewältigen ist. Sie bietet dem Kind bzw. dem Jugendlichen einen längerfristigen Aufenthalt im familiären (und z. T. geburtsfamiliennahen) Rahmen. Es handelt sich in der Regel um eine auf längere Dauer oder auf dauerhaften Verbleib angelegte Lebensform für das Kind, soweit sich im Rahmen der Kindeswohlsicherung bzw. durch familiengerichtliche Entscheidungen keine grundlegenden Änderungen der Situation in der Geburtsfamilie ergeben. In dieser Pflegeform ist die zu leistende Aufgabe der Erziehung und Betreuung in einem die Dynamik einer „Normalfamilie“ nicht sprengenden Setting möglich.

Befindet sich das Kind / der Jugendliche bereits seit längerer Zeit in der Familie der Großeltern oder Verwandten, so ist deren Eignung auf der Basis der nachstehenden Kriterien zu prüfen.

2. Rechtsgrundlage

§§ 27, 33, 42 SGB VIII

3. Allgemeine Zielsetzung

Förderung einer altersentsprechenden Entwicklung in den Bereichen „Sprache“, „Motorik“, „Kognition“, „Sozialverhalten“

Entwicklung eines altersentsprechenden Umgangs mit emotionaler Bindung und Ablösung

Aufarbeitung von Entwicklungsdefiziten

Vermittlung sozialer Kompetenzen

(Möglicherweise) Integration in ein neues soziales Umfeld

Integration in Schule und Ausbildung

Erlangung von Schul- und Ausbildungsabschlüssen

(Wieder-)Herstellung/Beibehaltung einer tragfähigen Eltern-Kind-Beziehung

Verselbstständigung bzw. Reintegration in die Geburtsfamilie

4. Typische Fall­konstellationen

Kinder/Jugendliche von 0 bis 17 Jahren

Eine Jugendliche wird schwanger, wird vom Vater des Kindes aber verlassen und ist noch nicht in der Lage, das Kind allein zu betreuen. Die Großeltern übernehmen die Betreuung, zunächst im Haushalt ihrer Tochter, dann im eigenen Haushalt. Dort verbleibt das Kind, da die Mutter (zunächst) andere Prioritäten setzt.

Großeltern betrachten mit Sorge die Überforderung der Kinderbetreuung und nehmen das Kind zu sich, um einer möglichen Herausnahme des Kindes durch das Jugendamt vorzubeugen.

Die Großeltern oder andere Verwandte übernehmen die Betreuung des Kindes, weil der/die Erziehungsberechtigte einen längeren Aufenthalt in einer therapeutischen Einrichtung oder einer Haftanstalt antreten muss. Das Kind verbleibt dann im betreuenden Haushalt, weil sich die Situation (z. B. Drogenkonsum) nicht bessert oder chronifiziert.

Ein Kind/Jugendlicher „flüchtet“ aus der elterlichen Wohnung zu Großeltern oder Verwandten, „setzt“ sich hier „fest“ und kehrt nicht mehr zurück. Zum Beispiel findet ein Jugendlicher nach einem Heimaufenthalt „Unterschlupf“ bei Verwandten, da eine Wiederaufnahme durch die eigenen Eltern nicht infrage kommt.

5. Inhalte der Leistung

 

Qualifizierungs- und Kooperationsverpflichtungen der Pflegefamilie

Kooperation mit dem Jugendamt (PKD) als entsprechende Verpflichtung; hierzu gehört die Bereitschaft, unterstützende Leistungen anzunehmen; Mitwirkung am Hilfeplan

Verpflichtende Teilnahme an Fortbildungen und Pflegeelterngruppenveranstaltungen

In Fällen einer Übernahme von Aufgaben des öffentlichen Trägers durch einen freien Träger: verpflichtende Zusammenarbeit mit dessen Fachberatung

Erziehung / sozialpädagogische Betreuung

Förderung lebenspraktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten

Förderung sozialer, emotionaler, motorischer, kognitiver und sprachlicher Kompetenzen

Förderung der schulischen bzw. beruflichen Entwicklung des Kindes/ Jugendlichen

Integration des Kindes/Jugendlichen in das Netzwerk im Umfeld der Pflegefamilie

Unterstützung des Kindes bei der Aufarbeitung der eigenen Biografie

Aufarbeitung von erzieherischen und sozialen Defiziten

Gesundheitliche Prophylaxe und Versorgung

Problemspezifische Versorgung und Erziehung

Organisation und Unterstützung notwendiger pädagogischer und therapeutischer Hilfen

Zusammenarbeit mit der Geburtsfamilie; soweit dies dem kindlichen Bedarf entspricht, ggf. kindgemäße Information über die Vorgänge in der Geburtsfamilie

Unterkunft und Raumkonzept

Die Kinder und Jugendlichen leben im familiären Bereich der Pflegepersonen; ein eigenes Zimmer ist für die Kinder/Jugendlichen entwicklungsbedingt vorzuhalten.

Verpflegung

Materielle Versorgung über Tag und Nacht

6. Persönliche und
familiäre Voraussetzungen

Die Pflegepersonen sind bereit und in der Lage, den erzieherischen Bedarf des Kindes zu erkennen und müssen eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung und Betreuung gewährleisten können.

Die Pflegepersonen sind bereit und in der Lage, den Herkunftseltern mit einer Haltung von Verständnis und Akzeptanz zu begegnen oder sich diese zu erarbeiten. Sie müssen Gewähr für den Schutz des Kindes oder Jugendlichen, auch vor dessen Entwicklung gefährdenden Übergriffen aus der Geburtsfamilie, bieten können.

Im Falle einer nachvollziehbaren Hilfebewilligung muss zum Zeitpunkt der Entscheidung deutlich sein, dass das Kind oder der Jugendliche den Verbleib bei den Verwandten wünscht und keine offensichtlichen Entbehrungen erleidet.

 

1.3.2 Patenschaften für Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen

Die Idee hinter dem Patenschaftsmodell ist die, dass eine Bezugsperson außerhalb der engen Familie für die Kinder ausgleichend und stabilisierend wirken kann. Eine Patenfamilie ist keine bessere Familie für ein Kind, sie unterstützt lediglich die vorhandene Eltern-Kind-Beziehung und ermöglicht dem Kind möglichst unbeschwerte Alltagserfahrungen. Paten können die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen begleiten, ihnen Schutz und Entlastung in schwierigen Lebenssituationen anbieten, wenn es Eltern nicht mehr gelingt, sie ausreichend zu stützen und zu fördern. Es besteht kein Auftrag, auf die Qualität der familiären Erziehung Einfluss zu nehmen. Patenschaften sind kein Ersatz zur familiären Erziehung und kein Konkurrenzmodell. Eltern-Kind-Beziehungen sollen möglichst erhalten bleiben. Der Anspruch der Mütter oder Väter, trotz psychischer Erkrankung gute, sorgende Eltern zu sein, kann durch Patenschaften positiv unterstützt werden.

 

Leistungsangebotstyp

Patenschaften für Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen

1. Art des Angebots

Bei der Patenschaft für Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen handelt es sich um ein begleitetes, niedrigschwelliges Angebot für Kinder, die bei psychisch erkranken Müttern/Vätern/Eltern aufwachsen und zum Erhalt ihres Lebensortes und zur Vermeidung einer längerfristigen Fremdplatzierung einer besonderen Unterstützung bedürfen.

Patenschaften sind verwandtschaftlichen Unterstützungsnetzen für Kinder und ihre Angehörigen in Not- und Krisenzeiten nachgebildet und beruhen somit auf der Idee einer solidarischen Unterstützung im Rahmen eines bürgerschaftlichen Engagements.

Die Hilfe ist darauf konzentriert, Kinder und ihre Eltern/Mütter/Väter zu entlasten, Versorgungs- und Erziehungsmängel zu kompensieren, Kindern und Angehörigen im Rahmen der Kindeswohlsicherung in Krisen beizustehen und den Kindern in Zeiten stationärer Aufenthalte des/der betroffenen Angehörigen eine verlässliche, vertraute Versorgung zu bieten.

Diese Aufgabe übernehmen Patenfamilien im Rahmen eines auf den Bedarf im Einzelfall zugeschnittenen und in einem Kontrakt festgelegten Settings. Das Vertragssystem zwischen den Familien und den institutionell Beteiligten – einschließlich der therapeutischen Bezugsperson der erkrankten Eltern – stellt Transparenz, Verbindlichkeit und Verlässlichkeit der Absprachen sicher und bildet so eine wesentliche Grundlage für das Gelingen einer Kooperation in einem differenzierten Beziehungsgeflecht.

Die Patenschaft ist je nach Einzelfall eine befristete oder auf einen unbestimmten Zeitraum hin angelegte Maßnahme. Einleitung, Steuerung und regelmäßige Überprüfung der Leistungsgewährung erfolgt im Rahmen der Hilfeplanung. Therapeutische Leistungen für die Angehörigen (Mütter/Väter/Eltern) zur Bearbeitung ihrer psychischen Erkrankung sind nicht Inhalt des Leistungstyps. Allerdings ist Zugangsvoraussetzung für die Einrichtung einer Patenschaft, dass sich der betroffene Elternteil (Mutter/Vater) in einer therapeutischen Begleitung befindet. Eine verbindliche Kooperation zwischen den Institutionen/Einrichtungen ist sicherzustellen.

2. Rechtsgrundlage

§ 27 Abs. 2; es gilt ein Nachrangigkeitsgebot gegenüber Sozialleistungen anderer Träger, wenn die Betreuung des Kindes über Tag und Nacht geschieht (z. B. Haushaltshilfe finanziert über Krankenkassen)

3. Allgemeine Zielsetzung

Familien- und Milieuerhalt für das Kind durch Unterstützung von Angehörigen und Kind in Alltagssituationen und in Phasen krisenhafter Zuspitzung

Schutz des Kindes in Phasen krisenhafter Zuspitzung

Bereitstellung eines Ansprechpartners für das Kind zur Verarbeitung seiner besonderen Situation und der sich aus seiner Situation ergebenden psychosozialen Belastungen

Förderung der Erziehungskompetenz der betroffenen Angehörigen und ihre psychosoziale Entlastung in Phasen, in denen sie die Erziehungsverantwortung nicht selbst übernehmen können

4. Typische Fall­konstellationen

Kinder/Jugendliche von 0 bis 14 Jahren

Mutter/Vater/Eltern leiden an einer psychischen Erkrankung und sind im Rahmen der therapeutischen Begleitung bereits stationär oder ambulant an einen Dienst / eine Einrichtung gebunden

Die betroffenen Eltern(-teile) sind in Phasen nicht akuter Erkrankung zur Versorgung, Betreuung und Erziehung des Kindes in der Lage

Die betroffenen Eltern(-teile) nehmen die Eltern-/Mutter-/Vaterrolle an, und es besteht eine tragfähige Bindung/Beziehung zum Kind

Die betroffenen Eltern(-teile) sind bereit, die Unterstützung durch eine Patenfamilie im Interesse des Kindes anzunehmen

5. Inhalte der Leistung

 

Qualifizierungs- und Kooperationsverpflichtungen der Pflegefamilie

Verpflichtende und erfolgreiche Teilnahme an der Grundschulung für Pflegefamilien sowie an aufbauenden Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen für Patenfamilien

Verpflichtende Teilnahme an Gruppentreffen für Patenfamilien sowie bei Bedarf an Supervision

Verpflichtende Teilnahme an Koordinationstreffen (Betreuer, Angehörige, Fachkraft Jugendamt/PKD oder freier Träger)

Erziehung / sozialpädagogische Betreuung in Phasen, in denen das Kind bei seinen Angehörigen lebt

Die Patenfamilie ist Ansprechpartner für das Kind und die Angehörigen (Mutter/Vater/ Eltern)

Die Patenfamilie verpflichtet sich in einem im Kontrakt festgelegten Umfang auch zur Betreuung des Kindes über Tag (Tagespflege) oder über Tag und Nacht (in der Regel an Wochenenden)

Die Patenfamilie verpflichtet sich in einem im Kontrakt festgelegten Umfang zu gemeinsamen Unternehmungen mit Angehörigen und Kind

Erziehung / sozialpädago­gische Betreuung in Phasen, in denen die betroffe­nen Angehörigen die alltägliche Versorgung des Kindes nicht selbst übernehmen können

Die Patenfamilien versorgen und betreuen das Kind über Tag und Nacht

Die Patenfamilien sichern den Kontakt zur Familie des Kindes / zum betroffenen Elternteil während der akuten Krankheitsphase und stellen die Verbindung zu den milieunahen sozialen Netzen sicher

Unterkunft und Raumkonzept

Die Anzahl der wöchentlichen Kontakte bzw. der Versorgung über Tag und Nacht in den unterschiedlichen Phasen ist im Rahmen eines individuellen Kontraktes festzulegen und im Rahmen einer halbjährlichen Prüfung dem jeweiligen Bedarf anzupassen

Bei der Betreuung über Tag und Nacht ist für die Kinder/Jugendlichen entwicklungsbedingt ein eigenes Zimmer vorzuhalten

Verpflegung

Materielle Versorgung über Tag und Nacht (in dem Fall, in dem die betroffenen Angehörigen das Kind nicht selbst betreuen können)

6. Persönliche und
familiäre Voraussetzungen

(Ehe-)Paare und/oder Lebensgemeinschaften oder Alleinerziehende/ Einzelpersonen in stabilen Lebenssituationen und mit Erfahrungen in der Betreuung eigener und/oder fremder Kinder, die Interesse und Bereitschaft zeigen, mit dem Personenkreis zusammenzuarbeiten und sich der spezifischen Aufgabenstellung zu widmen.

Die Übernahme einer Patenschaft ist nicht an eine berufliche Vorbildung gebunden, jedoch ist diese wünschenswert. Voraussetzung ist die Bereitschaft, sich flexibel auf die Anforderungen der Patenschaft einzulassen, um den unterschiedlichen individuellen Bedarfssituationen zu entsprechen.

Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit sind unter Berücksichtigung des Vernetzungsgedankens mit Trägern, Fachkräften und anderen Disziplinen eine Grundvoraussetzung für Patenfamilien.

w    Paten wissen um die besondere Lebenssituation der Eltern und respektieren sie.

w    Paten streben an, kein Ersatz der familiären Erziehung und auch kein Konkurrenzmodell zu sein, sondern eine Ergänzung zu der familiären Leistung.

w    Paten bewerten die psychisch erkrankten Eltern und deren Umgang mit dem Kind grundsätzlich nicht. Sie haben nicht den Auftrag, auf die Qualität der familiären Erziehung Einfluss zu nehmen.

w    Paten bieten Kindern und Jugendlichen Schutz und Entlastung in schwierigen Situationen, wenn Eltern nicht in der Lage sind, sie ausreichend zu stützen und zu fördern.

w    Paten begleiten die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen langfristig. Unabhängig von akuten Krisensituationen halten sie Kontakt zum Kind/Jugendlichen.

Eltern-Kind-Beziehungen sollen erhalten bleiben; eine Überführung des Betreuungsverhältnisses in eine langfristige Vollzeitpflege kommt nicht in Betracht. Eine Patenfamilie ist keine bessere Familie, sondern findet ihre wesentliche Aufgabe in der Stärkung und Unterstützung der vorhandenen Eltern-Kind-Beziehung.

Verwandte und Verschwägerte bis zum dritten Grad können nur in besonders begründeten Ausnahmefällen als Paten eingesetzt werden. Diese liegen dann vor, wenn die Intensität der Kontakte über das normale verwandtschaftliche Maß hinausgeht.

Paten dürfen nicht in Haushaltsgemeinschaft mit den Eltern/Elterntei­len leben. Dies gilt auch für vorübergehende Haushaltsgemeinschaften.

 

1.3.3 Pflegekinder mit Migrationshintergrund Image Removed

In einigen Ballungsgebieten in der Bundesrepublik stammen 40 % der Kinder und Jugendlichen aus Migrantenfamilien,[7] sodass die Arbeit mit dieser Zielgruppe zum Alltag der Fachkräfte in vielen Pflegekinderdiensten gehört.[8] Aber auch dort, wo nur wenige Familien mit Migrationshintergrund leben, kann die Herausnahme eines Kindes aus diesen Familien zum besonderen Problem werden. Häufig sind aufgrund von kulturellen Unterschieden Missverständnisse und gegenseitige Vorbehalte an der Tagesordnung, die sich im gesamten Prozess der Inpflegegabe wie auch während Durchführung der Fremdplatzierung zeigen können. Der Pflegekinderdienst ist in diesen Fällen besonders gefordert.

Ein insgesamt migrationssensibler Umgang ist nicht nur praktisch geboten und pädagogisch notwendig, er ist auch im SGB VIII verankert. So wird im § 9 Abs. 1 SGB VIII „Grundrichtung der Erziehung, Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen“ gefordert, dass bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der Aufgaben die von den Personensorgeberechtigten bestimmte Grundrichtung der Erziehung sowie die Rechte der Personensorgeberechtigten und des Kindes oder des Jugendlichen bei der Bestimmung der religiösen Erziehung zu beachten sind. Im Absatz 2 wird bei der Ausgestaltung der Leistung ergänzt: Die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes oder des Jugendlichen zu selbstständigem, verantwortungsbewusstem Handeln sowie die jeweiligen sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten junger Menschen und ihrer Familie sind zu berücksichtigen.

Die Unterbringung eines Kindes aus einer Familie mit Migrationshintergrund beginnt in der Regel mit einem Kontakt mit dem ASD. In der Hilfeplanung sollte daher das deutsche System der Jugendhilfe erläutert werden, um dem Vorbehalt einer Einmischung deutscher Behörden in die Familie entgegenzuwirken. Schon hier gilt es, Ängste hinsichtlich einer möglichen Entfremdung des Kindes anzusprechen und die Möglichkeit unterschiedlicher Unterbringungsformen zu erläutern. Ziel der Planung muss es daher sein, prinzipiell Zugang zu den Familien zu finden. Es empfiehlt sich hier, wenn möglich, auf Fachkräfte des entsprechenden Kulturkreises zurückzugreifen oder zumindest Dolmetscher einzusetzen.

Für den Pflegekinderdienst gelten die Ausführungen zur Arbeit des ASD in umfangreicherer Weise. Das entsprechende kultursensible Vorgehen beschränkt sich nicht nur auf die Fachkräfte des Pflegekinderdienstes, sondern auch auf die Pflegeeltern und die Pflegekinder. Nicht zuletzt kann daher auch die Forderung erhoben werden, Pflegeeltern mit entsprechendem kulturellen Hintergrund für diese Pflegekinder zu suchen.[9]

Im „Handbuch Pflegekinderhilfe“ des DJI, in dem diese Thematik ausführlich erörtert wird, wird gleichwohl die Schlussfolgerung gezogen, dass es nicht erforderlich erscheint, vollkommen neue Konzepte „interkultureller Pflegekinderarbeit“ zu entwickeln. Vielmehr ergeben sich aus einer konsequenten Realisierung der Lebenswelt- und Adressatenorientierung zwangsläufig spezifische Anforderungen an die fachliche Arbeit in der Pflegekinderhilfe. Mit anderen Worten: die Pflegeformen müssen nicht verändert werden, sie haben – entsprechend der Einstufung der kindlichen Problemlagen – weiterhin ihre Gültigkeit auch für Pflegekinder bzw. Pflegeltern mit Migrationshintergrund.

Entsprechend werden hier zusammenfassend einige Anhaltspunkte zu dieser Problematik gegeben, ohne dass damit eine neue Pflegeform konzipiert werden soll. Es werden hier Themen aufgezeigt, die bezüglich der Migrationsproblematik zu Ergänzungen in der gewählten der Pflegeform führen können.[10]

Themen mit Blick auf die Pflegekinder:

- Traumata, die möglicherweise schon im Heimatland erworben wurden

- Entwicklungsverzögerungen im Hinblick auf den Spracherwerb in zwei Kulturen

- Bedeutung von erlebtem Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

- Rollendiffusion aufgrund des Lebens in unterschiedlichen religiösen und kulturellen Zusammenhängen

Themen mit Blick auf die leiblichen Eltern:

- Tabus, über Schwierigkeiten in der Familie mit Außenstehenden zu sprechen

- Ängste vor „Kolonialisierungsbestrebungen“ der deutschen Sozialdienste

- Skepsis gegenüber psychologisch orientierter Beratung und Gesprächsführung

- Schwere Durchschaubarkeit des komplexen sozialstaatlichen Beratungs- und Hilfesystems

- Negative Behördenerfahrungen im Herkunftsland und in Deutschland

- Rollenunverträglichkeit aufgrund des Lebens in unterschiedlichen religiösen und kulturellen Zusammenhängen

Themen mit Blick auf die Pflegeeltern:

- Akquisition von Pflegeeltern mit Migrationshintergrund

- Bei interkulturellen Pflegeverhältnissen:

›   Sprachbarrieren/Sprachentfremdung

›   Essensvorschriften

›   Risiko der Entfremdung von der Kultur / Erhalt der Herkunftskultur

›   Rollenverständnis aufgrund kultureller und religiöser Unterschiede

Themen mit Blick auf die Fachkräfte:

- (Unbewusste) Vorurteile

- Fremdenfeindliche Einstellungen/Rassismus

- Klischeehaft-stereotype Wahrnehmungen und Deutungen

- Defizitperspektive

- Unbewusste Projektionen sowie Vermeidung der Auseinandersetzung mit der eigenen Unsicherheit angesichts komplexer, von vielen Faktoren beeinflusster Problemlagen

- Sensibilität hinsichtlich der Forderung nach Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen und den möglicherweise sich widersprechenden Anforderungen der Religion

- Grenzsetzungen bezüglich der religiösen und sozialen Toleranz

- Achtung der religiösen und kulturellen Formen

Es empfiehlt sich, bei interkulturellen Pflegeverhältnissen auf Dolmetscherinnen/Dolmet­scher oder Kulturmittlerinnen/Kulturmittler zurückzugreifen. Auch müssen möglicherweise geschlechtsspezifische Kontaktzugänge zur Mutter und zum Vater gewählt werden. Für die Fachkräfte werden Fortbildungen zu organisieren sein, damit sie die Pflegefamilien entsprechend unterstützen können, aber auch Angebote für die Pflegeeltern mit Blick auf die spezifischen Problematiken. Betroffen von dieser Problematik sind ebenfalls die Werbung und die Auswahl der Pflegeeltern, in die entsprechende Aspekte aufgenommen werden müssen.Im Zuge der Erfahrungen mit den Pflegeformen wurde deutlich, dass eine Differenzierung innerhalb der Sonderpädagogischen Vollzeitpflege notwendig ist. Die Durchlässigkeit zwischen der Sozialpädagogischen Vollzeitpflege und der Sonderpädagogischen Vollzeitpflege war nur unzureichend gegeben, da in der „höheren“ Pflegeform eine – den kindlichen Beeinträchtigungen entsprechende – Berufsausbildung für mindestens einen Pflege­elternteil vorausgesetzt wurde. Dem Verlangen entsprechend, diese Pflegeart auch für Pflegeeltern zu öffnen, die zwar über die nötige Erfahrung verfügen, aber nicht über die notwendige berufliche Qualifikation, wurde die Sonderpädagogische Vollzeitpflege weiter differenziert. Dies schlägt sich nicht in einer inhaltlichen Unterscheidung nieder, sondern damit wird der Berufsausbildung, über eine finanzielle Besserstellung, Rechnung getragen (siehe Kap. 4.1.1).

 

 

Leistungsangebotstyp

Sonderpädagogische Vollzeitpflege und (+)

1. Art des Angebots

Die Sonderpädagogische Pflege wird von pädagogisch-psycholo­gisch und ggf. medizinisch-pflegerisch qualifizierten Einzelpersonen, Paaren oder Lebensgemeinschaften durchgeführt. Sie bietet dem Kind bzw. dem Jugendlichen einen längerfristigen Aufenthalt im familiären Rahmen. Der erzieherische bzw. behindertenspezifische Bedarf basiert in dieser Pflegeform auf Beeinträchtigungen des Kindes, die auch mit besonderen und gezielten sozialpädagogischen Zuwendungen nicht vollends behebbar sind, weil sie zu einer grundlegenden Persönlichkeitsstörung geführt haben oder weil es sich um eine schwere Behinderung oder lebensbedrohende Erkrankung handelt.

2. Rechtsgrundlage

§§ 27, 33, 35a, 39, (41) SGB VIII; §§ 53/54 SGB XII (durch Beschluss AGJÄ vom 11.02.2010 sollen Fälle nach §§ 53/54 SGB XII als Sonderpädagogische Vollzeitpflege behandelt werden)

3. Allgemeine Zielsetzung

Die allgemeine Zielsetzung richtet sich nach der besonderen Situation des Kindes oder Jugendlichen, wobei den Ressourcen eines familiären Umfeldes (Emotionalität, Zuverlässigkeit, Beziehungsaufbau) eine besondere Bedeutung zukommt

Gegenüber seelisch behinderten und traumatisierten Kindern oder Jugendlichen steht eine nachholende, an den biografischen Erfahrungen und den Umweltbeziehungen orientierte Sozialisation unter Einschluss von Betreuungs- und Erziehungsaufgaben im Mittelpunkt

Gegenüber schwerbehinderten und lebensgefährlich erkrankten Kindern oder Jugendlichen stehen die angemessene pflegerische Betreuung und Förderungsaufgaben im Mittelpunkt

Die familiären Beziehungen des Kindes oder Jugendlichen sind situationsspezifisch einzubeziehen und zu unterstützen; eine Rückführung in die Herkunftsfamilie wird in der Regel nicht infrage kommen

4. Typische Fall­konstellationen

Kinder/Jugendliche von 0 bis 17 Jahren …

… mit wesentlicher seelischer Behinderung wie z. B.

›  diagnostizierte Entwicklungsverzögerungen und grundlegende Persönlichkeitsstörungen

›  erhebliche Verhaltensauffälligkeiten (Aggression/Regression)

›  schwere Traumata

…  mit erheblichen biografischen Risikofaktoren wie Deprivation, Beziehungsabbrüche, Gewalterfahrungen u. ä.

…  mit schwersten Traumatisierungen und Bindungsstörungen

…  mit wesentlicher körperlicher und/oder geistiger Behinderung

…  mit einer HIV-positiv-Diagnose

…  mit einer lebensbedrohlichen Krankheit

5. Inhalte der Leistung

 

Qualifizierungs- und Kooperationsverpflichtungen der Pflegefamilie

Verpflichtende und erfolgreiche Teilnahme an Grund- und aufbauen­den Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen sowie Fachberatungen für Pflegeeltern, prozessbegleitenden Maßnahmen und Supervision

Verpflichtende Kooperation mit dem öffentlichen Träger (Jugendamt, PKD) und weiteren beteiligten Institutionen (z. B. Gesundheits- und Therapieeinrichtungen); Mitwirkung am Hilfeplan

In Fällen einer Übernahme von Aufgaben des öffentlichen Trägers durch einen freien Träger: verpflichtende Zusammenarbeit mit dessen Fachberatung

Regelmäßige Zielerreichungsdokumentationen („Entwicklungsberichte“)

Verpflichtende Teilnahme an Fortbildungen, die den Problembereichen des von ihnen betreuten Kindes entsprechen

Erziehung / sozialpädagogische Betreuung

Förderung lebenspraktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten

Förderung sozialer, emotionaler, motorischer, kognitiver und sprachlicher Kompetenzen

Förderung der schulischen bzw. beruflichen Entwicklung des Kindes/ Jugendlichen in einem der Situation des Kindes oder Jugendlichen angemessenen Rahmen

Integration des Kindes/Jugendlichen in das Netzwerk im Umfeld der Pflegefamilie

Unterstützung des Kindes bei der Aufarbeitung der eigenen Biografie

Aufarbeitung/Bearbeitung von Entwicklungsstörungen und sozialen Defiziten

Gesundheitliche Prophylaxe und Versorgung

Problemspezifische (medizinische/pflegerische) Versorgung und Erziehung

Organisation und Unterstützung und evtl. Durchführung notwendiger therapeutischer Hilfen

Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie; Einbeziehen der Herkunftsfamilie in den Erziehungsprozess, soweit dies dem kindlichen Bedarf entspricht

Gestalten von Bindungs- und Trennungsprozessen

Unterkunft und Raumkonzept

Die Kinder und Jugendlichen leben im familiären Bereich der Pflege­personen; ein eigenes Zimmer ist für die Kinder/Jugendlichen vorzuhalten

Verpflegung

Materielle Versorgung über Tag und Nacht

6. Persönliche und
familiäre Voraussetzungen

Sozialpädagogische/psychologische Qualifikation oder nachgewiesene vergleichbare Qualifikation / erzieherische Erfahrung möglichst des für die Erziehung im Alltag zuständigen Elternteils

Die Besonderheit der zu betreuenden Kinder/Jugendlichen setzt die überwiegende Betreuung durch die pädagogische bzw. besonders erfahrene Pflegeperson der Familie voraus

In dieser Pflegeform sollen in der Regel nicht mehr als zwei Pflegekinder betreut werden

Durch die besonderen Problematiken der Kinder ist eine Einschätzung der Qualifikation des in der Erziehung erfahrenen Elternteils durch die Fachkräfte des Pflegekinderdienstes notwendig

Sonderpädagogische Vollzeitpflege +

Berufsausbildung in den Bereichen sozialpädagogischer/psychologi­scher Qualifikation und/oder medizinisch-pflegerischer Qualifikation mindestens eines Teils der Pflegeeltern

Einschlägige Berufserfahrung

Die Besonderheit der zu betreuenden Kinder/Jugendlichen setzt die überwiegende Betreuung durch die pädagogische bzw. besonders erfahrene Pflegeperson der Familie voraus

In dieser Pflegeform sollen in der Regel nicht mehr als zwei Pflegekinder betreut werden

 

1.3 Weitere Pflegeformen

Eine besondere Rolle für den Pflegekinderbereich spielen die Verwandtenpflegestellen. Sie und ihnen in der Struktur ähnliche Pflegeformen im „sozialen Nahraum“ eines Kindes sind aus dem Pflegekinderbereich nicht wegzudenken, bedürfen aber wegen der inneren Nähe zwischen Pflegepersonen und Kind und seinen leiblichen Eltern sowie ihrer „Milieuverankerung“ einer besonderen Aufmerksamkeit.

Die Pflegeform „Patenschaften für Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen“ wurde in jüngerer Zeit im Kontext von Wissenschafts- und Praxisdebatten zum Schicksal von Kindern von Eltern mit psychischen Erkrankungen entwickelt und deshalb auf diesen Personenkreis hin konzentriert. Diskutiert werden gelegentlich aber auch Patenschaften für andere Problemgruppen, so z. B. zur Unterstützung und phasenhaften Entlastung von jungen Müttern oder für Kinder aus Suchtfamilien. Diese Pflegeform hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr als Regelangebot zahlreicher Jugendämter etabliert, sodass die noch in der ersten Ausgabe vorgenommene Klassifizierung als „Baustelle“ nicht mehr beibehalten wird.

 

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1.3.1 Verwandtenpflege

Verwandtenpflege ist immer dann gegeben, wenn Kinder oder Jugendliche bei Verwandten oder Verschwägerten[1] bis zum dritten Grad für einen mehr als kurzfristigen Zeitraum über Tag und Nacht leben und von den Verwandten primär versorgt werden. Personen, die einen Enkel / ein anderes Verwandtenkind im Rahmen einer privaten Vereinbarung mit den Sorgeberechtigten betreuen, benötigen keine Erlaubnis zur Vollzeitpflege (§ 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII), haben jedoch Anspruch auf Beratung durch das Jugendamt.

Die Gewährung der Hilfe nach § 33 SGB VIII für Verwandtenpflegen ergibt sich daraus, dass der erzieherische Bedarf durch die leiblichen Eltern des Kindes nicht erfüllt werden kann – dies in der anderen Familie aber sichergestellt ist.[2]

In der sozialen Realität steht einer großen Zahl von Verwandten, die ein Kind aus dem großfamilialen Umfeld informell betreuen und die weder nach Beratung noch nach finanzieller Unterstützung nachsuchen, eine kleinere Zahl von Pflegepersonen gegenüber, die die Sorge für das Kind nicht aus eigenen Mitteln übernehmen können und deshalb um Grundsicherung bzw. Sozialgeld nach SGB II und SGB XII für das Kind nachsuchen, sowie eine Anzahl von Verwandten, die entweder vom Jugendamt aktiv für die Übernahme einer erzieherischen Hilfe gem. §§ 27, 33 SGB VIII angeworben wurden oder die von sich aus um die Anerkennung als Vollzeitpflegestelle nachsuchen. Das SGB VIII in der Fassung vom 13. September 2005[3] hat hierzu nunmehr in Reaktion auf ein Bundesverwaltungsgerichtsurteil aus dem Jahr 1995 in § 27 Abs. 2a eindeutig geklärt, dass „ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch entfällt, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen.“ Die Gewährung von Hilfe zur Erziehung setzt in diesem Falle aber voraus, dass „diese Person bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 36 und 37 zu decken.“ Des Weiteren stellt § 39 Abs. 4 Satz 4 nunmehr klar, dass gegenüber einer unterhaltsverpflichteten Person (eine solche kann Großvater/Großmutter, nicht jedoch eine andere verwandte Person sein) der monatliche Pauschalbetrag „angemessen gekürzt werden kann.“

Mit diesen Neuregelungen ist nunmehr nach jahrelangen kontroversen Diskussionen geklärt, dass bei sonst vorliegenden Voraussetzungen für die Gewährung einer erzieherischen Hilfe Großeltern nicht deshalb die Anerkennung als Vollzeitpflegestelle gemäß § 33 versagt werden kann, weil sie ggf. unterhaltsverpflichtet sind. Sie haben dann allerdings auch den Verpflichtungen nachzukommen, die auch nicht mit dem Kind verwandte Pflegeeltern zu erfüllen haben, wobei hier jedoch eine Kürzung des monatlichen Erziehungsbeitrags (nicht jedoch der materiellen Aufwendungen für das Kind) ggf. infrage kommen kann.

Trotz der begrüßenswerten Klarstellungen wird man von weiteren Unsicherheiten im Umgang mit Verwandten, insbesondere mit Großeltern, ausgehen müssen. Hintergrund hierfür ist zum einen, dass es sich bei Verwandtenpflegestellen häufig um „nachvollzogene“ Inpflegegaben handelt, da die Großeltern/Verwandten – auch aus Unkenntnis – das Verwandtenpflegekind zunächst informell aufgenommen haben. Zum anderen gibt es in der Praxis häufig Zweifel an der Eignung der Großeltern/Verwandten, z. B. weil intergenerative Verwicklungen vermutet werden und/oder die wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Situation sowie der Bildungsstand unter den aus dem Bereich der „Fremdpflege“ gewohnten Standards liegt.

Vorbehalte der ersten Art können mit § 27 Abs. 2a nunmehr insoweit überwunden werden, als sich aus der Regelung erschließen lässt, dass auch im Falle eines Nachvollzugs zu überprüfen ist, ob die Bewerberinnen und Bewerber zur Mitwirkung und Zusammenarbeit bereit und in der Lage sind (und die rechtlichen Voraussetzungen zur Gewährung einer erzieherischen Hilfe gegeben sind). Soweit dies in einem Verfahren der Eignungsfeststellung bejaht werden kann und die Verwandtenpflegestelle die geeignete Hilfeform darstellt, dürfte der „Nachvollzug“ künftig kein Hinderungsgrund für die Anerkennung sein. Andererseits ist eine Anerkennung zu versagen, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Dies wiederum muss nicht notwendigerweise bedeuten, dass das Kind nicht in der Verwandtenfamilie verbleibt. Sofern der Schutz des Kindes in der Familie mindestens einfachen Standards entspricht und eine den Bedürfnissen des Kindes entsprechende Erziehung gewährleistet ist, kann den Verwandten auch außerhalb einer erzieherischen Hilfe Beratung gewährt und ggf. durch entsprechende familienunterstützende Leistungen nach dem SGB VIII abgesichert werden (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 2004, S. 38).

Die zweite Gruppe von Bedenken sollte – soweit sie nicht ernsthaft die grundsätzliche Eignung der Verwandten als pflegende Personen begründen – unter dem in der neueren Forschung hervorgehobenen Gesichtspunkt der „Andersartigkeit“ von Verwandtenarrangements gegenüber Fremdpflegearrangements neu bewertet werden. Die Versorgung eines Kindes aus dem eigenen familiären Umfeld – so die Quintessenz – folgt einer eigenen Dynamik, beinhaltet besondere Risiken, aber auch besondere Chancen für das Kind. Verwandtenpflegestellen sind Pflegefamilien besonderer Art. Sie bedürfen deshalb einerseits einer besonderen, auf die Risiken großfamilialer Arrangements abgestellten Form der Beratung und Unterstützung, haben zum anderen aber auch die besondere Nähe zwischen Verwandten und Kind als einen bedeutsamen Schutzfaktor für die kindliche Entwicklung zu würdigen und bei Eignungsentscheidungen zu gewichten.

Der letzte Gesichtspunkt hat in jüngerer Zeit – auch in Verbindung mit fiskalischen Überlegungen – vermehrt dazu geführt, die Verwandtenpflege nicht nur „passiv“ hinzunehmen, sondern sie bewusst in die Suche nach einem Lebensort für ein von den Eltern nicht gut versorgtes Kind einzubeziehen. Sofern die Suche nicht allein auf Verwandte, sondern auch auf andere einem Kind oder Jugendlichen primär verbundene Personen (z. B. Eltern von Schulfreunden, Bekannte und Freunde der Eltern, Paten, Jugendgruppenleiter) erweitert wird, wird von Social Network Care gesprochen, der entsprechende methodisch besonders ausgestaltete Suchprozess als Homefinding.

Diese kurzen Ausführungen machen deutlich, dass die Verwandtenpflege eine besondere Stellung im Kanon der Pflegeformen einnimmt und insofern nicht nur als eine eigene Leistungsform auszugestalten ist, sondern dass auch für sie eine Spezialisierung innerhalb des Pflegekinderdienstes anzustreben ist. Hier muss der Intensität der Unterstützungsleistungen, den Spezifika der Themen und der Haltung zu den „besonderen“ Pflegeeltern Rechnung getragen werden.[4]



[1]    Großeltern, Onkel, Tanten, Geschwister, Neffen, Nichten und Verschwägerte

[2]    Vgl. Wiesner, Reinhard (2011): SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, Kommentar. Zum Kommentar des § 33 SGB VIII heißt es in Rn. 29 zur Verwandtenpflege: „Maßgeblich für die Gewährung der Hilfe ist ausschließlich, dass ein erzieherischer Bedarf besteht, der durch die leiblichen Eltern des Kindes oder Jugendlichen nicht erfüllt wird, und die Erziehung in der anderen Familie dem erzieherischen Bedarf des Kindes oder Jugendlichen angemessen Rechnung trägt.“ Bestätigt wird diese Auffassung durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 01. März 2012, BVerwG 5 C 12.11.

[3]    Wurde in die geänderte Fassung vom 22.12.2011 übernommen.

[4]    Die Verwandtenpflege, wie auch das Finden von geeigneten Pflegepersonen (Netzwerkpflege) im sozialen Netz, kann ebenso für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eine geeignete Pflegeform sein. Entsprechen­de Prüfungen sind dann vorzunehmen (vgl. Kap. 1.3.4 und 9.2.3).


 

Leistungsangebotstyp

Verwandtenpflege

1. Art des Angebots

Die Verwandtenpflege wird von persönlich qualifizierten Einzelpersonen, Paaren oder Lebensgemeinschaften durchgeführt, bei denen keine pädagogische Ausbildung vorausgesetzt wird. Sie erstreckt sich auf die Versorgung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen, die in ihrer Entwicklung bzw. aufgrund ihrer Behinderung oder aufgrund großer Probleme in der Geburtsfamilie in einem Umfang beeinträchtigt sind, der ohne professionelle Ausbildung zu bewältigen ist. Sie bietet dem Kind bzw. dem Jugendlichen einen längerfristigen Aufenthalt im familiären (und z. T. geburtsfamiliennahen) Rahmen. Es handelt sich in der Regel um eine auf längere Dauer oder auf dauerhaften Verbleib angelegte Lebensform für das Kind, soweit sich im Rahmen der Kindeswohlsicherung bzw. durch familiengerichtliche Entscheidungen keine grundlegenden Änderungen der Situation in der Geburtsfamilie ergeben. In dieser Pflegeform ist die zu leistende Aufgabe der Erziehung und Betreuung in einem die Dynamik einer „Normalfamilie“ nicht sprengenden Setting möglich.

Befindet sich das Kind / der Jugendliche bereits seit längerer Zeit in der Familie der Großeltern oder Verwandten, so ist deren Eignung auf der Basis der nachstehenden Kriterien zu prüfen.

2. Rechtsgrundlage

§§ 27, 33, 42 SGB VIII

3. Allgemeine Zielsetzung

Förderung einer altersentsprechenden Entwicklung in den Bereichen „Sprache“, „Motorik“, „Kognition“, „Sozialverhalten“

Entwicklung eines altersentsprechenden Umgangs mit emotionaler Bindung und Ablösung

Aufarbeitung von Entwicklungsdefiziten

Vermittlung sozialer Kompetenzen

(Möglicherweise) Integration in ein neues soziales Umfeld

Integration in Schule und Ausbildung

Erlangung von Schul- und Ausbildungsabschlüssen

(Wieder-)Herstellung/Beibehaltung einer tragfähigen Eltern-Kind-Beziehung

Verselbstständigung bzw. Reintegration in die Geburtsfamilie

4. Typische Fall­konstellationen

Kinder/Jugendliche von 0 bis 17 Jahren

Eine Jugendliche wird schwanger, wird vom Vater des Kindes aber verlassen und ist noch nicht in der Lage, das Kind allein zu betreuen. Die Großeltern übernehmen die Betreuung, zunächst im Haushalt ihrer Tochter, dann im eigenen Haushalt. Dort verbleibt das Kind, da die Mutter (zunächst) andere Prioritäten setzt.

Großeltern betrachten mit Sorge die Überforderung der Kinderbetreuung und nehmen das Kind zu sich, um einer möglichen Herausnahme des Kindes durch das Jugendamt vorzubeugen.

Die Großeltern oder andere Verwandte übernehmen die Betreuung des Kindes, weil der/die Erziehungsberechtigte einen längeren Aufenthalt in einer therapeutischen Einrichtung oder einer Haftanstalt antreten muss. Das Kind verbleibt dann im betreuenden Haushalt, weil sich die Situation (z. B. Drogenkonsum) nicht bessert oder chronifiziert.

Ein Kind/Jugendlicher „flüchtet“ aus der elterlichen Wohnung zu Großeltern oder Verwandten, „setzt“ sich hier „fest“ und kehrt nicht mehr zurück. Zum Beispiel findet ein Jugendlicher nach einem Heimaufenthalt „Unterschlupf“ bei Verwandten, da eine Wiederaufnahme durch die eigenen Eltern nicht infrage kommt.

Ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, der von Verwandten betreut wird oder betreut werden soll (siehe Kap. 1.3.4).

5. Inhalte der Leistung

 

Qualifizierungs- und Kooperationsverpflichtungen der Pflegefamilie

Kooperation mit dem Jugendamt (PKD) als entsprechende Verpflichtung; hierzu gehört die Bereitschaft, unterstützende Leistungen anzunehmen; Mitwirkung am Hilfeplan

Verpflichtende Teilnahme an Fortbildungen und Pflegeelterngruppenveranstaltungen

In Fällen einer Übernahme von Aufgaben des öffentlichen Trägers durch einen freien Träger: verpflichtende Zusammenarbeit mit dessen Fachberatung

Erziehung / sozialpädagogische Betreuung

Förderung lebenspraktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten

Förderung sozialer, emotionaler, motorischer, kognitiver und sprachlicher Kompetenzen

Förderung der schulischen bzw. beruflichen Entwicklung des Kindes/ Jugendlichen

Integration des Kindes/Jugendlichen in das Netzwerk im Umfeld der Pflegefamilie

Unterstützung des Kindes bei der Aufarbeitung der eigenen Biografie

Aufarbeitung von erzieherischen und sozialen Defiziten

Gesundheitliche Prophylaxe und Versorgung

Problemspezifische Versorgung und Erziehung

Organisation und Unterstützung notwendiger pädagogischer und therapeutischer Hilfen

Zusammenarbeit mit der Geburtsfamilie; soweit dies dem kindlichen Bedarf entspricht, ggf. kindgemäße Information über die Vorgänge in der Geburtsfamilie

Unterkunft und Raumkonzept

Die Kinder und Jugendlichen leben im familiären Bereich der Pflegepersonen; ein eigenes Zimmer ist für die Kinder/Jugendlichen entwicklungsbedingt vorzuhalten.

Verpflegung

Materielle Versorgung über Tag und Nacht

6. Persönliche und
familiäre Voraussetzungen

Die Pflegepersonen sind bereit und in der Lage, den erzieherischen Bedarf des Kindes zu erkennen und müssen eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung und Betreuung gewährleisten können.

Die Pflegepersonen sind bereit und in der Lage, den Herkunftseltern mit einer Haltung von Verständnis und Akzeptanz zu begegnen oder sich diese zu erarbeiten. Sie müssen Gewähr für den Schutz des Kindes oder Jugendlichen, auch vor dessen Entwicklung gefährdenden Übergriffen aus der Geburtsfamilie, bieten können.

Im Falle einer nachvollziehbaren Hilfebewilligung muss zum Zeitpunkt der Entscheidung deutlich sein, dass das Kind oder der Jugendliche den Verbleib bei den Verwandten wünscht und keine offensichtlichen Entbehrungen erleidet.

 

1.3.2 Patenschaften für Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen

Die Idee hinter dem Patenschaftsmodell ist die, dass eine Bezugsperson außerhalb der engen Familie für die Kinder ausgleichend und stabilisierend wirken kann. Eine Patenfamilie ist keine bessere Familie für ein Kind, sie unterstützt lediglich die vorhandene Eltern-Kind-Beziehung und ermöglicht dem Kind möglichst unbeschwerte Alltagserfahrungen. Paten können die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen begleiten, ihnen Schutz und Entlastung in schwierigen Lebenssituationen anbieten, wenn es Eltern nicht mehr gelingt, sie ausreichend zu stützen und zu fördern. Es besteht kein Auftrag, auf die Qualität der familiären Erziehung Einfluss zu nehmen. Patenschaften sind kein Ersatz zur familiären Erziehung und kein Konkurrenzmodell. Eltern-Kind-Beziehungen sollen möglichst erhalten bleiben. Der Anspruch der Mütter oder Väter, trotz psychischer Erkrankung gute, sorgende Eltern zu sein, kann durch Patenschaften positiv unterstützt werden.


 

 

Leistungsangebotstyp

Patenschaften für Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen

1. Art des Angebots

Bei der Patenschaft für Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen handelt es sich um ein begleitetes, niedrigschwelliges Angebot für Kinder, die bei psychisch erkranken Müttern/Vätern/Eltern aufwachsen und zum Erhalt ihres Lebensortes und zur Vermeidung einer längerfristigen Fremdplatzierung einer besonderen Unterstützung bedürfen.

Patenschaften sind verwandtschaftlichen Unterstützungsnetzen für Kinder und ihre Angehörigen in Not- und Krisenzeiten nachgebildet und beruhen somit auf der Idee einer solidarischen Unterstützung im Rahmen eines bürgerschaftlichen Engagements.

Die Hilfe ist darauf konzentriert, Kinder und ihre Eltern/Mütter/Väter zu entlasten, Versorgungs- und Erziehungsmängel zu kompensieren, Kindern und Angehörigen im Rahmen der Kindeswohlsicherung in Krisen beizustehen und den Kindern in Zeiten stationärer Aufenthalte des/der betroffenen Angehörigen eine verlässliche, vertraute Versorgung zu bieten.

Diese Aufgabe übernehmen Patenfamilien im Rahmen eines auf den Bedarf im Einzelfall zugeschnittenen und in einem Kontrakt festgelegten Settings. Das Vertragssystem zwischen den Familien und den institutionell Beteiligten – einschließlich der therapeutischen Bezugsperson der erkrankten Eltern – stellt Transparenz, Verbindlichkeit und Verlässlichkeit der Absprachen sicher und bildet so eine wesentliche Grundlage für das Gelingen einer Kooperation in einem differenzierten Beziehungsgeflecht.

Die Patenschaft ist je nach Einzelfall eine befristete oder auf einen unbestimmten Zeitraum hin angelegte Maßnahme. Einleitung, Steuerung und regelmäßige Überprüfung der Leistungsgewährung erfolgt im Rahmen der Hilfeplanung. Therapeutische Leistungen für die Angehörigen (Mütter/Väter/Eltern) zur Bearbeitung ihrer psychischen Erkrankung sind nicht Inhalt des Leistungstyps. Allerdings ist Zugangsvoraussetzung für die Einrichtung einer Patenschaft, dass sich der betroffene Elternteil (Mutter/Vater) in einer therapeutischen Begleitung befindet. Eine verbindliche Kooperation zwischen den Institutionen/Einrichtungen ist sicherzustellen.

2. Rechtsgrundlage

§ 27 Abs. 2; es gilt ein Nachrangigkeitsgebot gegenüber Sozialleistungen anderer Träger, wenn die Betreuung des Kindes über Tag und Nacht geschieht (z. B. Haushaltshilfe finanziert über Krankenkassen)

3. Allgemeine Zielsetzung

Familien- und Milieuerhalt für das Kind durch Unterstützung von Angehörigen und Kind in Alltagssituationen und in Phasen krisenhafter Zuspitzung

Schutz des Kindes in Phasen krisenhafter Zuspitzung

Bereitstellung eines Ansprechpartners für das Kind zur Verarbeitung seiner besonderen Situation und der sich aus seiner Situation ergebenden psychosozialen Belastungen

Förderung der Erziehungskompetenz der betroffenen Angehörigen und ihre psychosoziale Entlastung in Phasen, in denen sie die Erziehungsverantwortung nicht selbst übernehmen können

4. Typische Fall­konstellationen

Kinder/Jugendliche von 0 bis 14 Jahren

Mutter/Vater/Eltern leiden an einer psychischen Erkrankung und sind im Rahmen der therapeutischen Begleitung bereits stationär oder ambulant an einen Dienst / eine Einrichtung gebunden

Die betroffenen Eltern(-teile) sind in Phasen nicht akuter Erkrankung zur Versorgung, Betreuung und Erziehung des Kindes in der Lage

Die betroffenen Eltern(-teile) nehmen die Eltern-/Mutter-/Vaterrolle an, und es besteht eine tragfähige Bindung/Beziehung zum Kind

Die betroffenen Eltern(-teile) sind bereit, die Unterstützung durch eine Patenfamilie im Interesse des Kindes anzunehmen

5. Inhalte der Leistung

 

Qualifizierungs- und Kooperationsverpflichtungen der Pflegefamilie

Verpflichtende und erfolgreiche Teilnahme an der Grundschulung für Pflegefamilien sowie an aufbauenden Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen für Patenfamilien

Verpflichtende Teilnahme an Gruppentreffen für Patenfamilien sowie bei Bedarf an Supervision

Verpflichtende Teilnahme an Koordinationstreffen (Betreuer, Angehörige, Fachkraft Jugendamt/PKD oder freier Träger)

Erziehung / sozialpädagogische Betreuung in Phasen, in denen das Kind bei seinen Angehörigen lebt

Die Patenfamilie ist Ansprechpartner für das Kind und die Angehörigen (Mutter/Vater/ Eltern)

Die Patenfamilie verpflichtet sich in einem im Kontrakt festgelegten Umfang auch zur Betreuung des Kindes über Tag (Tagespflege) oder über Tag und Nacht (in der Regel an Wochenenden)

Die Patenfamilie verpflichtet sich in einem im Kontrakt festgelegten Umfang zu gemeinsamen Unternehmungen mit Angehörigen und Kind

Erziehung / sozialpädago­gische Betreuung in Phasen, in denen die betroffe­nen Angehörigen die alltägliche Versorgung des Kindes nicht selbst übernehmen können

Die Patenfamilien versorgen und betreuen das Kind über Tag und Nacht

Die Patenfamilien sichern den Kontakt zur Familie des Kindes / zum betroffenen Elternteil während der akuten Krankheitsphase und stellen die Verbindung zu den milieunahen sozialen Netzen sicher

Unterkunft und Raumkonzept

Die Anzahl der wöchentlichen Kontakte bzw. der Versorgung über Tag und Nacht in den unterschiedlichen Phasen ist im Rahmen eines individuellen Kontraktes festzulegen und im Rahmen einer halbjährlichen Prüfung dem jeweiligen Bedarf anzupassen

Bei der Betreuung über Tag und Nacht ist für die Kinder/Jugendlichen entwicklungsbedingt ein eigenes Zimmer vorzuhalten

Verpflegung

Materielle Versorgung über Tag und Nacht (in dem Fall, in dem die betroffenen Angehörigen das Kind nicht selbst betreuen können)

6. Persönliche und
familiäre Voraussetzungen

(Ehe-)Paare und/oder Lebensgemeinschaften oder Alleinerziehende/ Einzelpersonen in stabilen Lebenssituationen und mit Erfahrungen in der Betreuung eigener und/oder fremder Kinder, die Interesse und Bereitschaft zeigen, mit dem Personenkreis zusammenzuarbeiten und sich der spezifischen Aufgabenstellung zu widmen.

Die Übernahme einer Patenschaft ist nicht an eine berufliche Vorbildung gebunden, jedoch ist diese wünschenswert. Voraussetzung ist die Bereitschaft, sich flexibel auf die Anforderungen der Patenschaft einzulassen, um den unterschiedlichen individuellen Bedarfssituationen zu entsprechen.

Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit sind unter Berücksichtigung des Vernetzungsgedankens mit Trägern, Fachkräften und anderen Disziplinen eine Grundvoraussetzung für Patenfamilien.

w Paten wissen um die besondere Lebenssituation der Eltern und respektieren sie.

w Paten streben an, kein Ersatz der familiären Erziehung und auch kein Konkurrenzmodell zu sein, sondern eine Ergänzung zu der familiären Leistung.

w Paten bewerten die psychisch erkrankten Eltern und deren Umgang mit dem Kind grundsätzlich nicht. Sie haben nicht den Auftrag, auf die Qualität der familiären Erziehung Einfluss zu nehmen.

w Paten bieten Kindern und Jugendlichen Schutz und Entlastung in schwierigen Situationen, wenn Eltern nicht in der Lage sind, sie ausreichend zu stützen und zu fördern.

w Paten begleiten die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen langfristig. Unabhängig von akuten Krisensituationen halten sie Kontakt zum Kind/Jugendlichen.

Eltern-Kind-Beziehungen sollen erhalten bleiben; eine Überführung des Betreuungsverhältnisses in eine langfristige Vollzeitpflege kommt nicht in Betracht. Eine Patenfamilie ist keine bessere Familie, sondern findet ihre wesentliche Aufgabe in der Stärkung und Unterstützung der vorhandenen Eltern-Kind-Beziehung.

Verwandte und Verschwägerte bis zum dritten Grad können nur in besonders begründeten Ausnahmefällen als Paten eingesetzt werden. Diese liegen dann vor, wenn die Intensität der Kontakte über das normale verwandtschaftliche Maß hinausgeht.

Paten dürfen nicht in Haushaltsgemeinschaft mit den Eltern/Elterntei­len leben. Dies gilt auch für vorübergehende Haushaltsgemeinschaften.

 

1.3.3    Pflegekinder mit Migrationshintergrund

In einigen Ballungsgebieten in der Bundesrepublik stammen 40 % der Kinder und Jugendlichen aus Migrantenfamilien,[1] sodass die Arbeit mit dieser Zielgruppe zum Alltag der Fachkräfte in vielen Pflegekinderdiensten gehört.[2] Aber auch dort, wo nur wenige Familien mit Migrationshintergrund leben, kann die Herausnahme eines Kindes aus diesen Familien zum besonderen Problem werden. Häufig sind aufgrund von kulturellen Unterschieden Missverständnisse und gegenseitige Vorbehalte an der Tagesordnung, die sich im gesamten Prozess der Inpflegegabe wie auch während Durchführung der Fremdplatzierung zeigen können. Der Pflegekinderdienst ist in diesen Fällen besonders gefordert.

Ein insgesamt migrationssensibler Umgang ist nicht nur praktisch geboten und pädagogisch notwendig, er ist auch im SGB VIII verankert. So wird im § 9 Abs. 1 SGB VIII „Grundrichtung der Erziehung, Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen“ gefordert, dass bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der Aufgaben die von den Personensorgeberechtigten bestimmte Grundrichtung der Erziehung sowie die Rechte der Personensorgeberechtigten und des Kindes oder des Jugendlichen bei der Bestimmung der religiösen Erziehung zu beachten sind. Im Absatz 2 wird bei der Ausgestaltung der Leistung ergänzt: Die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes oder des Jugendlichen zu selbstständigem, verantwortungsbewusstem Handeln sowie die jeweiligen sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten junger Menschen und ihrer Familie sind zu berücksichtigen.

Die Unterbringung eines Kindes aus einer Familie mit Migrationshintergrund beginnt in der Regel mit einem Kontakt mit dem ASD. In der Hilfeplanung sollte daher das deutsche System der Jugendhilfe erläutert werden, um dem Vorbehalt einer Einmischung deutscher Behörden in die Familie entgegenzuwirken. Schon hier gilt es, Ängste hinsichtlich einer möglichen Entfremdung des Kindes anzusprechen und die Möglichkeit unterschiedlicher Unterbringungsformen zu erläutern. Ziel der Planung muss es daher sein, prinzipiell Zugang zu den Familien zu finden. Es empfiehlt sich hier, wenn möglich, auf Fachkräfte des entsprechenden Kulturkreises zurückzugreifen oder zumindest Dolmetscher einzusetzen.[3]

Für den Pflegekinderdienst gelten die Ausführungen zur Arbeit des ASD in umfangreicherer Weise. Das entsprechende kultursensible Vorgehen beschränkt sich nicht nur auf die Fachkräfte des Pflegekinderdienstes, sondern auch auf die Pflegeeltern und die Pflegekinder. Nicht zuletzt kann daher auch die Forderung erhoben werden, Pflegeeltern mit entsprechendem kulturellen Hintergrund für diese Pflegekinder zu suchen.[4]

Im „Handbuch Pflegekinderhilfe“ des DJI, in dem diese Thematik ausführlich erörtert wird, wird gleichwohl die Schlussfolgerung gezogen, dass es nicht erforderlich erscheint, vollkommen neue Konzepte „interkultureller Pflegekinderarbeit“ zu entwickeln. Vielmehr ergeben sich aus einer konsequenten Realisierung der Lebenswelt- und Adressatenorientierung zwangsläufig spezifische Anforderungen an die fachliche Arbeit in der Pflegekinderhilfe. Mit anderen Worten: die Pflegeformen müssen nicht verändert werden, sie haben – entsprechend der Einstufung der kindlichen Problemlagen – weiterhin ihre Gültigkeit auch für Pflegekinder bzw. Pflegeltern mit Migrationshintergrund.[5]

Entsprechend werden hier zusammenfassend einige Anhaltspunkte zu dieser Problematik gegeben, ohne dass damit eine neue Pflegeform konzipiert werden soll. Es werden hier Themen aufgezeigt, die bezüglich der Migrationsproblematik zu Ergänzungen in der gewählten der Pflegeform führen können.[6]

Themen mit Blick auf die Pflegekinder:

w  Traumata, die möglicherweise schon im Heimatland erworben wurden

w  Entwicklungsverzögerungen im Hinblick auf den Spracherwerb in zwei Kulturen

w  Bedeutung von erlebtem Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

w  Rollendiffusion aufgrund des Lebens in unterschiedlichen religiösen und kulturellen Zusammenhängen

Themen mit Blick auf die leiblichen Eltern:

w  Tabus, über Schwierigkeiten in der Familie mit Außenstehenden zu sprechen

w  Ängste vor „Kolonialisierungsbestrebungen“ der deutschen Sozialdienste

w  Skepsis gegenüber psychologisch orientierter Beratung und Gesprächsführung

w  Schwere Durchschaubarkeit des komplexen sozialstaatlichen Beratungs- und Hilfesystems

w  Negative Behördenerfahrungen im Herkunftsland und in Deutschland

w  Rollenunverträglichkeit aufgrund des Lebens in unterschiedlichen religiösen und kulturellen Zusammenhängen

Themen mit Blick auf die Pflegeeltern:

w  Akquisition von Pflegeeltern mit Migrationshintergrund

w  Bei interkulturellen Pflegeverhältnissen:

›  Sprachbarrieren/Sprachentfremdung

›  Essensvorschriften

›  Risiko der Entfremdung von der Kultur / Erhalt der Herkunftskultur

›  Rollenverständnis aufgrund kultureller und religiöser Unterschiede

Themen mit Blick auf die Fachkräfte:

w  (Unbewusste) Vorurteile

w  Fremdenfeindliche Einstellungen/Rassismus

w  Klischeehaft-stereotype Wahrnehmungen und Deutungen

w  Defizitperspektive

w  Unbewusste Projektionen sowie Vermeidung der Auseinandersetzung mit der eigenen Unsicherheit angesichts komplexer, von vielen Faktoren beeinflusster Problemlagen

w  Sensibilität hinsichtlich der Forderung nach Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen und den möglicherweise sich widersprechenden Anforderungen der Religion

w  Grenzsetzungen bezüglich der religiösen und sozialen Toleranz

w  Achtung der religiösen und kulturellen Formen

Es empfiehlt sich, bei interkulturellen Pflegeverhältnissen auf Dolmetscherinnen/Dolmet­scher oder Kulturmittlerinnen/Kulturmittler zurückzugreifen. Auch müssen möglicherweise geschlechtsspezifische Kontaktzugänge zur Mutter und zum Vater gewählt werden. Für die Fachkräfte werden Fortbildungen zu organisieren sein, damit sie die Pflegefamilien entsprechend unterstützen können, aber auch Angebote für die Pflegeeltern mit Blick auf die spezifischen Problematiken. Betroffen von dieser Problematik sind ebenfalls die Werbung und die Auswahl der Pflegeeltern, in die entsprechende Aspekte aufgenommen werden müssen.

1.3.4    Vollzeitpflege für unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche (Gastfamilien[7])

Dieses Angebot richtet sich an ausländische Kinder und Jugendliche, die ohne Begleitung in Deutschland eingereist sind. In der Regel handelt es sich dabei um junge Menschen, die vor Krieg oder persönlicher Bedrohung Schutz suchen. Sie stehen unter besonderem Schutz, wie er in der UN-Kinderrechtskonvention mit den Vertragsstaaten vereinbart worden ist. In Artikel 22 heißt es dazu: „Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass ein Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrt oder nach Maßgabe der anzuwendenden Regeln und Verfahren des Völkerrechts oder des innerstaatlichen Rechts als Flüchtling angesehen wird, angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte erhält (…).“ Ergänzend dazu wird im Artikel 20 ausgeführt, dass bei der Wahl der Betreuungsformen „die erwünschte Kontinuität der Erziehung des Kindes sowie die ethnische, religiöse, kulturelle und sprachliche Herkunft des Kindes gebührend zu berücksichtigen“ sind. Zusammenfassend wird durch den Kinderrechtsausschuss zur geeigneten Unterbringung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (Comment Nr. 6, 2005) ausgeführt: „Ein Kind, das vorübergehend oder dauernd aus seiner familiären Umgebung herausgelöst wird oder dem der Verbleib in dieser Umgebung im eigenen Interesse nicht gestattet werden kann, hat Anspruch auf den besonderen Schutz und Beistand des Staates.“

Für diese Kinder und Jugendlichen wurde in Übereinstimmung mit den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention eine eigene Pflegeform entwickelt, die auf die besondere Situation dieser jungen Menschen ausgerichtet ist.

Die Eltern, die für diese Kinder und Jugendlichen die Betreuung und Unterstützung übernehmen, befinden sich dabei in einer ähnlichen Situation wie die jungen Menschen. Beide Seiten treffen auf eine ihnen fremde Kultur, beiden Seiten stellen sich die gleichen – quasi ethnologischen – Fragen: Wie funktioniert diese Kultur? Warum verhalten sich die Personen in entsprechender Weise? Wie können wir einander verstehen?[8]

Mit der Vermittlung ggf. traumatisierter Jugendlicher verschiedener Alters- und Entwicklungsstufen in das privat-familiäre Arrangement einer Pflegefamilie sind Erwartungen nach „nachholenden“, den spezifischen Bedürfnissen der Jugendlichen gerecht werdenden Sozialisations- und Umweltbedingungen verbunden. Mit ihr wird nicht nur über das Wohl von fluchtgeschädigten Jugendlichen, ihre Chancen auf Bildung, eine Zukunft und ihre psychosoziale Gesundheit bzw. Gesundung während ihres Aufenthalts in der Gastfamilie entschieden, sondern werden auch Weichen für das biografische Schicksal dieser Jugendlichen im gesamten Lebenslauf sowie für den Erfolg der Integration gestellt.[9]

Daneben ist es auch möglich und wünschenswert, wenn die Bedingungen es erlauben, unbegleitete minderjährige Kinder und Jugendliche über die Verwandtenpflege zu betreu­en oder im Rahmen von Netzwerksuche geeignete Pflegepersonen für sie ausfindig zu machen. Hier greifen dann die Standards der Verwandtenpflege bzw. die Standards der Überprüfung der Eignung der Pflegepersonen (siehe Kap. 1.3.1 und 9.2.3). Es sollte aber in jedem Fall versucht werden, die Sorgeberechtigten zu erreichen und um Zustimmung zur Unterbringung bei den Verwandten nachzusuchen. Dabei kann auch geklärt werden, ob es sich bei den Personen um Verwandte handelt. Je nach Aufenthaltsstatus und in Abhängigkeit von den Sprachkenntnissen der verwandten Personen sollte in jedem Fall die Einrichtung einer ergänzenden Erziehungsbeistandschaft insbesondere für die Kontakte zu Behörden, Schulen, Ausbildungsstellen etc. geprüft werden.



[1]    Aus: Kindler, Heinz / Helming, Elisabeth / Meysen, Thomas /Jurczyk, Karin (Hg): (2010): Handbuch Pflegekinderhilfe. München. Deutsches Jugendinstitut.

[2]    In Niedersachsen hatten 2014 11 % der Kinder, in denen HzE zur Vollzeitpflege gewährt wurde, einen Migrationshintergrund. Im Bundesdurchschnitt liegt der Wert bei 23 %. (Pflegekinder und Pflegefamilien mit Migrationshintergrund. Universität Hildesheim, 2016).

[3]    Ebenda: Die Unterstützung durch Fachkräfte eines entsprechenden Kulturkreises kann nur ein erster Schritt bei der Unterbringung von Kindern mit Migrationshintergrund sein.

[4]    Eine Forderung, die gerade auch vom Türkischen Elternverband in Niedersachsen erhoben wird.

[5]    Die Untersuchung der Universität Hildesheim für den Bereich der Pflegekinder und Pflegefamilien mit Migrationshintergrund zeigt, dass in über 80 % der Pflegekinderdienste die unbefristete Vollzeitpflege und in 73 % die Verwandtenpflege für Kinder mit Migrationshintergrund angeboten werden.

[6]    Im Wesentlichen entnommen aus dem „Handbuch Pflegekinderhilfe“ des DJI (S. 783 ff.).

[7]    Der Begriff wird in der Fachwelt kontrovers diskutiert, da er unterschiedliche Assoziationen hervorrufen kann, deren inhaltliche Konkretisierungen mit den Standards der Vollzeitpflege nicht kompatibel sind (z. B. Familien für einen Schüleraustausch). Da der Begriff „Gastfamilien“ aber bereits eingeführt ist, wird er hier auch verwendet – allerdings in Klammern gesetzt.

[8]    Die Inhalte dieser Pflegeform wie auch die Überlegungen zur Eignungsprüfung von Familien, die bereit sind, diese jungen Menschen bei sich aufzunehmen, basieren auf Diskussionen eines Fachgesprächs am 29.02.2016, an dem Vertreterinnen und Vertreter des Niedersächsischen Landesjugendamtes, des Kompetenzzentrums Pflegekinder, der Jugendhilfe Südniedersachsen, des Trägers Pflegekinder in Bremen und der Pflegekinderdienste der Stadt Brauschweig, der Stadt Oldenburg und der Region Hannover teilnahmen.

[9]    Kompetenzzentrum Pflegekinder (2016): Jugendliche Flüchtlinge in Gastfamilien. Eine erste Orientierung in einem großen gesellschaftlichen Feld. S. 5. (http://www.kompetenzzentrum-pflegekinder.de/aktuelles/)

 

 

Leistungsangebotstyp

Vollzeitpflege für unbegleitete ausländische Kinder und
Jugendliche

1. Art des Angebots

Die Vollzeitpflege für unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche wird von persönlich qualifizierten und/oder fachlich ausgewiesenen Einzelpersonen, Paaren oder Lebensgemeinschaften durchgeführt. Sie erstreckt sich auf die Versorgung und Begleitung, Erziehung und Förderung der jungen Menschen. Der Hilfebedarf resultiert aus der Schutzlosigkeit und aus der Abwesenheit der Eltern bzw. der Herkunftsfamilie. Da über diese Pflegeform in der Regel ältere Kinder und Jugendliche betreut werden, ist die Hilfe zwar auf Dauer angelegt, jedoch mit Blick auf das Alter der jungen Menschen zeitlich befristet. Die Familien werden, je nach Bedarf des Einzelfalls und der Maßgabe des Hilfeplans, durch Sprach- und/oder Kulturmittler sowie durch ergänzende Maßnahmen unterstützt.

2. Rechtsgrundlage

§§ 27, 33, 37 (2), 39, 41 SGB VIII

In Ausnahmen § 42 SGB VIII (bis zur Bestellung eines Vormundes)

3. Allgemeine Zielsetzung

Versorgung und Unterstützung im Alltag

Orientierung und Hilfe in dem für sie fremden Land

Angebot verlässlicher Begleitung und Aufbau neuer Beziehungen

Unterstützung bei der physischen und psychischen Erholung und Genesung (z. B. ärztliche Abklärungen)

Unterstützung bei der Integration in Schule bzw. Ausbildung

Psychosoziale Begleitung im Asylverfahren

Hilfe bei der Entwicklung einer neuen Lebensperspektive

Alltagsbegleitende Sprachförderung

Unterstützung des Wechsels zu Verwandten oder bei einem Familien­nachzug

Hilfe bei der Verselbstständigung

4. Typische Fall­konstellationen

Unbegleitete ausländische Jugendliche bis 17 Jahre oder ältere Kinder,

…  die nach Flucht aus ihrem Heimatland, unbegleiteter Einreise nach Deutschland und Inobhutnahme im Jugendamtsbezirk verbleiben oder ihm zugewiesen werden

…  die bereit und in der Lage sind, sich auf den Rahmen und die Individualität einer familienanalogen Betreuung einzulassen

…  die im Rahmen von Verwandten- oder Netzwerkpflege bei einer geeigneten Familie leben oder künftig leben sollten (hier greifen dann die Standards des Kap. 1.3.1 „Verwandtenpflege“)

5. Inhalte der Leistung

 

Qualifizierungs- und Kooperationsverpflichtungen der Pflegefamilie

Verpflichtende und erfolgreiche Teilnahme an Grund- und aufbauenden Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen für Pflegeeltern, prozessbegleitenden Maßnahmen (Gruppenarbeit) und Supervision

Verpflichtende Kooperation mit dem öffentlichen Träger (Jugendamt, PKD), dem Vormund sowie die Mitwirkung am Hilfeplan

In Fällen einer Übernahme von Aufgaben des öffentlichen Trägers durch einen freien Träger: verpflichtende Zusammenarbeit mit dessen Fachberatung

Regelmäßige Berichtspflicht

Erziehung / sozialpädagogische Betreuung

Förderung sprachlicher, kultureller und sozialer Kompetenzen

Förderung lebenspraktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten mit Blick auf die dem jungen Menschen unbekannte Kultur

Förderung der schulischen bzw. beruflichen Entwicklung des jungen Menschen

Unterstützung in der Freizeitgestaltung: Anregung und Erschließen geeigneter Angebote und Förderung von sozialen Kontakten

Bereitstellung einer Sicherheit gebenden Struktur

Achtsame Unterstützung des Kontaktes zur Herkunftsfamilie über Kommunikationsmedien

Begleitung der gesundheitlichen Prophylaxe und Versorgung

Organisation und Sicherstellung notwendiger therapeutischer und medizinischer Hilfen nach Maßgabe des Hilfeplans

Unterkunft und Raumkonzept

Die Kinder und Jugendlichen leben im familiären Bereich der Pflegepersonen; ein eigenes Zimmer ist für die Kinder/Jugendlichen vorzuhalten. Die Unterbringung im Doppelzimmer ist möglich, bedarf aber im Einzelfall der Abstimmung mit dem Pflegekinderdienst.

Verpflegung

Materielle Versorgung über Tag und Nacht

6. Persönliche und
familiäre Voraussetzungen

Erzieherische Erfahrung mit Jugendlichen (durch eigene Kinder oder berufliche Erfahrung)

Offenheit gegenüber anderen Lebensweisen, Kulturen und Religionen

Verständnis für die besonderen Erfahrungen von jungen Flüchtlingen und Verhaltensweisen, die aus der starken Belastung durch deren Erlebnisse entstehen können

Bereitschaft, Sprachbarrieren im Alltag mit nonverbalen und kreativen Mitteln zu überwinden

Interesse, Kenntnisse über den kulturellen, gesellschaftlichen, politischen und religiösen Hintergrund des Herkunftslandes des jungen Menschen und über Flucht- und Migrationsprozesse zu erwerben

Bereitschaft, Kontakte zu ethnischen Gemeinschaften, denen sich der junge Mensch zugehörig fühlt, zu akzeptieren und ggf. zu unterstützen

Bereitschaft, mit dem Spannungsfeld offener Perspektive umzugehen

Bereitschaft, den Austausch zwischen Kindern/Jugendlichen unterschiedlicher kultureller Herkunft zu fördern

Bereitschaft, überraschende Begebenheiten und Verhaltensweisen zu erleben

Betreuung von in der Regel nicht mehr als zwei Pflegekindern

Offenheit gegenüber den Kontakten des jungen Menschen zu seinen leiblichen Eltern und weiteren Verwandten

Ausreichende Deutschkenntnisse

Gesicherter Aufenthaltsstatus

Religiöse und weltanschauliche Toleranz

 

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1.4 Abgrenzung zwischen Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII und Heimerziehung / sonstige betreute Wohnformen nach § 34 SGB VIII[11]

Das pädagogische Setting der Hilfen gemäß § 34 SGB VIII wird einerseits zunehmend familienähnlich gestaltet, andererseits nehmen sich Pflegefamilien in zunehmendem Maße auch besonders entwicklungsbeeinträchtigter Kinder an. Die Unterscheidung zwischen Hilfe zur Erziehung in einer Familie und Hilfe zur Erziehung in einer Institution gestaltet sich daher zunehmend schwieriger.

Zur Abgrenzung zwischen einer Einrichtung i. S. v. § 45 SGB VIII und einer Pflegestelle i. S. v. § 44 SGB VIII können folgende konstitutive Wesensmerkmale der betreffenden hilfeerbringenden Stellen herangezogen werden:

- Pflegestelle (§ 33 i. V. m. § 44 SGB VIII)

›   ›  Pflegeeltern sind die Betreuungs- und Bezugspersonen des Kindes und teilen mit ihm den familiären Alltag

›   ›  das Betreuungsverhältnis ist an ein bestimmtes Kind gebunden

›   ›  es besteht kein Anstellungsverhältnis oder ein sonstiges weisungsgebundenes Verhältnis zu einem Leistungsträger

›   ›  die Zahl der Pflegekinder ist nach oben begrenzt

- Heim und sonstige betreute Wohnform (§ 34 i. V. m. § 45 SGB VIII)

›   ›  die Betreuung hat eine Orts- und Gebäudebezogenheit

›   ›  die institutionelle Betreuung ist vom Wechsel der Betreuungspersonen unabhängig

›   ›  die institutionelle Betreuung ist vom Wechsel der zu betreuenden jungen Menschen unabhängig

›   ›  die Betreuungskräfte stehen in einem Arbeitsverhältnis oder sonstigen weisungsgebundenen Verhältnis zum Träger

Abgrenzungsprobleme der besonderen Pflegeformen gegenüber Erziehungsstellen nach § 34 SGB VIII

Es hat zu Irritationen in der Praxis geführt, dass der Begriff „Erziehungsstellen“ sowohl der Kennzeichnung von Pflegeformen dient, die hier als entweder sozialpädagogische oder sonderpädagogische Pflegestelle charakterisiert werden, als auch von familiären Betreuungssettings im Rahmen des § 34 SGB VIII. Es wird deshalb empfohlen, den Begriff „Erziehungsstellen“ künftig ausschließlich für die Differenzierungsform im Rahmen des § 34 SGB VIII zu verwenden, zumal sich dieser inzwischen erfolgreich als Variante dieses Paragraphen durchgesetzt hat, insbesondere aber auch, weil er eher das Anliegen der Heimerziehung als das des Pflegekinderwesens trifft.

Auch inhaltlich-konzeptionell stellt die Abgrenzung von besonderen Pflegeformen gegenüber Erziehungsstellen nach § 34 SGB VIII ein Problem dar, zumal Entscheidungen für das eine oder das andere in der Praxis oft eher nach Verfügbarkeit als aufgrund fachlicher Erwägungen getroffen werden.

Die Referatsleiterin im BMFSFJ, Frau Schmid-Obkirchner, führt hierzu aus:[121]Für die Abgrenzung zwischen den Leistungsbereichen des § 33 und § 34 kommt es auf die Bezeich­nung der Hilfe nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Kind bzw. der Jugendliche an die betreuende Person selbst vermittelt wurde, die deshalb umfassend allein persönlich verantwortlich ist – dann ist von Vollzeitpflege nach § 33 auszugehen. Wurde das Kind / der Jugendliche hingegen nicht unmittelbar an die betreuende Person vermittelt und wird daher die Verantwortung in einem formalen Zusammenhang wahrgenommen bzw. mit anderen geteilt und würde angesichts des organisatorischen Hintergrunds ggf. unabhängig von der betreuenden Person weiterbestehen, dann ist vom Bestehen einer Einrichtung oder einer sonstig betreuten Wohnform i. S. d. § 34 auszugehen.“



[1] Vgl. hierzu: Wiesner. Kommentar SGB VIII, 4. Auflage, § 33 RdNr. 39.


1.5 Vollzeitpflege in der Familie des Vormunds

Dem Anspruch auf Hilfe zur Erziehung steht nicht entgegen, dass Pflegeeltern zugleich Vormund oder Pfleger für das Kind oder den Jugendlichen sind.

Die Übernahme der Pflegschaft oder Vormundschaft durch die Pflegeeltern ist nicht Vor­aussetzung, sondern ausnahmslos Folge ihrer Bereitschaft, ein fremdes Kind in Pflege zu nehmen. Sie setzt die zusätzliche Bereitschaft und Eignung der Pflegeeltern voraus, auch rechtliche Verantwortung für das Kind zu übernehmen – eine Lösung, die im Interesse des Kindes oder Jugendlichen in der Regel einer Amtsvormundschaft bzw. -pflegschaft vorzuziehen ist. Deshalb können an diese Bereitschaft der Pflegeeltern weder Konsequenzen im Hinblick auf den Wegfall eines bis dahin erzieherischen Bedarfs noch im Hinblick auf Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen geknüpft werden.“ (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 2004, S. 39 f.). Daher gelten hinsichtlich der Ausgestaltung der Pflege und der Qualifikation der Pflegepersonen die definierten Kriterien für die jeweilige Pflegeform. Entsprechend sind die Kosten für die Pflege zu berechnen.

Es treffen für die Vormünder als Pflegepersonen zudem die Ausführungen des § 53 SGB VIII für die Beratung und Unterstützung von Pflegern und Vormündern zu.

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[1]    In der Darstellung folgen die Leistungsbeschreibungen der in Bremen üblichen Systematik, aus den dortigen Beschreibungen wurden zum Teil auch – nach Diskussion in der Projektgruppe – Formulierungen übernommen.

[2]    Erste Erfahrungen liegen u. a. aus Evaluationsstudien aus Hamburg und Bremen vor; Quellen hierzu im systematischen Literaturverzeichnis.

[3]    Hiermit wird die für insbesondere ältere Kinder und Jugendliche unentbehrliche Heimerziehung nicht abgewertet; plädiert wird lediglich dafür, Potenziale familiärer Erziehung offensiver zu nutzen.

[4]    Großeltern, Onkel, Tanten, Geschwister, Neffen, Nichten und Verschwägerte

[5]    Vgl. Wiesner, Reinhard (2011): SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, Kommentar. Zum Kommentar des § 33 SGB VIII heißt es in Rn. 29 zur Verwandtenpflege: „Maßgeblich für die Gewährung der Hilfe ist ausschließlich, dass ein erzieherischer Bedarf besteht, der durch die leiblichen Eltern des Kindes oder Jugendlichen nicht erfüllt wird, und die Erziehung in der anderen Familie dem erzieherischen Bedarf des Kindes oder Jugendlichen angemessen Rechnung trägt.“ Bestätigt wird diese Auffassung durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 01. März 2012, BVerwG 5 C 12.11.

[6]    Wurde in die geänderte Fassung vom 22.12.2011 übernommen.

[7]    Aus: Kindler, Heinz / Helming, Elisabeth / Meysen, Thomas /Jurczyk, Karin (Hg): (2010): Handbuch Pflegekinderhilfe. München. Deutsches Jugendinstitut

[8]    In Niedersachen stammten 2010 17 % der Kinder, in denen HzE gewährt wurde, aus Familien, in denen mindestens ein Familienmitglied einen Migrationshintergrund aufwies (Stellungnahme des Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie zu einer Projektskizze der Türkisch-Islamischen Union e.V. zur Gewinnung von mehr Migranten als Pflegeeltern).

[9]    Eine Forderung, die gerade auch vom Türkischen Elternverband in Niedersachsen erhoben wird.

[10]  Im Wesentlichen entnommen aus dem „Handbuch Pflegekinderhilfe“ des DJI (S. 783 ff.).

[11]  Vgl. hierzu die Weiterentwickelten Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Vollzeitpflege/Verwandten­pflege, Frankfurt a. M. 2004

[12] Vgl. hierzu: Wiesner. Kommentar SGB VIII, 4. Auflage, § 33 RdNr. 39